Mit den Schweinen heulen

■ „Ein Schweinchen namens Babe“ läßt Kinopapierkörbe überquellen, schlägt „Pocahontas“ und heimst Preise ein

Kloß im Hals, Tränen in den Augen. Verschämt linse ich nach links und rechts. Gott sei Dank, auch die kleinen Neffen sind gerührt. Jonas bekommt vor Begeisterung den Mund gar nicht mehr zu. Der anschließende Besuch bei McDonald's wird natürlich abgesagt. Schließlich könnte man auf Babes Verwandte, zerhackstückt zwischen Brötchenscheiben, treffen.

Dem Charme des rosa Wonneproppens entwischt keiner. Erwachsene blicken verschämt auf den Boden, fühlen sich ertappt. Ganze Papiertaschentücherladungen landen im Mülleimer. Diese blauen, unschuldigen Schweinekulleräuglein – unwiderstehlich! Wie eine kleine Ballerina stolziert das Vieh auf Hufen durch saftige grüne Landschaften. Erstes Ferkel in der Filmgeschichte mit guten Manieren. Nur beim Essen läßt's die Sau raus, schmatzt, schlingt, rülpst.

Das Schwein schlägt alle Rekorde. Läßt seit Wochen Disneys Heldin „Pocahontas“ links liegen. Die Abenteuer des Ferkels haben die Runde gemacht. Keiner willse, die stolze Indianersquaw mit wallend schwarzem Haar auf Kopfkissen, Bleistiften, Schulmäppchen oder -heften. Längst hat das Schwein die großen Kinos für sich erobert. „Ein Schweinchen namens Babe“ – nicht nur im Nachmittagsprogramm, auch in den Abendvorstellungen.

Die Popularität der Sau ist kein Wunder. Denn dieser Tierfilm gehört zu den wenigen wirklichen Melodramen in unseren Kinos. Und Babe ist eine der letzten wirklichen Kinodiven. Zu Beginn noch knuddeliges Ferkel. Entkommt knapp dem Dasein als Mastschwein, landet auf dem Bauernhof der skurrilen Cromwells. Und dem Frischling fehlt die Mama. Schweinskopf in Großaufnahme. Tränen. Weh... Erste wahre Konkurrenz zu Ingrid Bergmans Schluchzen in „Casablanca“.

Die Hundemama übernimmt Babes Erziehung. Quietschend tollt das rosa Wesen mit kleinen Welpen über Wiesen. Doch es herrschen strenge Sitten. Der kleine Fettwanst darf nicht mit ins Haus, geschweige denn mit auf die Weide zum Schafehüten. Dabei will er nichts sehnlicher sein als Schäferschwein. Natürlich stößt Babe dabei auf Vorurteile bei Mensch und Tier. Doch der Grunzkopf überwindet seine Klasse, schlägt aus der Art. Mit der sanften Methode überzeugt es zunächst die dummen Schafe, dann den Farmer und schließlich den snobistischen Hund Rex.

Klasse, die Nebenfiguren! Der bösartige Chor aus Ratten und Mäusen, der das Geschehen in kurzen Refrains zusammenfaßt. Der wortkarge Farmer mit seiner rundlichen Ehefrau, bekannt für die besten Marmeladen im Lande. Nicht zu vergessen der übergeschnappte Enterich, der glaubt, ein Hahn zu sein, jeden Morgen aufs Dach watschelt und „Gakigaki“ macht. Sein größter Feind ist der Wecker am Bett der Bäuerin.

Hin und weg von Babe und Anhang sind auch die amerikanischen Kritiker. Am Mittwoch wählte die „National Society of Film Critics“ „Ein Schweinchen namens Babe“ zum besten Film des vergangenen Jahres. Zum ersten Mal seit dem dreißigjährigen Bestehen des Verbandes wurde ein sprechendes Tier ausgezeichnet. Gut gemacht, Schwein: Anke Leweke

„Ein Schweinchen namens Babe“, USA/Australien 1994, R.: Chris Noonan, B.: George Miller, Chris Noonan. Im Astra, Broadway, Eva, Intimes, Manhattan, Passage, Titania, Toni