NS-Vergangenheit mit dem Rotstift entsorgt

■ Koalition verschiebt Bau des Museums „Topographie des Terrors“. Initiativen fürchten, daß es ganz weggespart wird

Der Großen Koalition wird die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu teuer: Am Donnerstag beschlossen CDU und SPD, mit dem Bau der Dokumentationsstätte „Topographie des Terrors“ auf dem früheren Gestapo-Gelände neben dem Martin- Gropius-Bau nicht wie geplant 1996, sondern frühestens 1997 zu beginnen. Organisationen früherer Widerstandskämpfer, Antifaschisten und Verfolgter des Naziregimes befürchten nun, daß die Gedenkstätte gar nicht mehr gebaut wird. Am 50. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai letzten Jahres hatten Bundesbauminister Klaus Töpfer und Berlins Regierender Eberhard Diepgen (beide CDU) noch feierlich das Bauschild für das Museum eingeweiht.

Grund für die Terminverschiebung ist die dramatische Haushaltslage. Die künftige Landesregierung muß bis Ende 1999 insgesamt 23 Milliarden Mark einsparen. Klaus Uwe Benneter (SPD), der gemeinsam mit Senator Volker Hassemer (CDU) die Koalitionsverhandlungen zum Thema Kultur- und Medienpolitik leitet, hielt trotz der angespannten Haushaltslage eine Terminverschiebung nicht für notwendig, weil dadurch das Land Berlin in diesem Jahr nur 5 Millionen Mark spare. Weil aber die CDU auf eine Verschiebung bis 1999 gedrängt habe, habe man sich auf den Kompromiß geeinigt, den Baubeginn für das Museum erst einmal nur um ein Jahr zu verschieben.

Andreas Nachama, Geschäftsführer der Stiftung „Topographie des Terrors“, sagte, der Koalitionsbeschluß bringe „das Faß der Peinlichkeiten zum Überlaufen“. Seit über zehn Jahren ist der Baubeginn immer wieder mit fadenscheinigen Argumenten verschoben worden. Die erneut beschlossene Verschiebung zeige die Unfähigkeit der Stadt, mit der Geschichte adäquat umzugehen.

Andreas Sander, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Ausstellung, sagte: „Der Beschluß ist der Einstieg für die Verschiebung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.“ Christine Fischer-Defoy, Mitglied im Stiftungsrat der „Topographie“, interpretiert die neue Politik so: „Die 50-Jahr-Feiern sind vorbei, das Gedenken ist abgefeiert, jetzt setzt sich die Kohl-Linie durch. Wir entsorgen die Geschichte mit allen Schmutzflecken.“

Seit 1983 kämpfen die „Initiative zum Umgang mit dem Gestapo-Gelände“, die Akademie der Künste, das Aktive Museum und andere Gruppen für den Bau einer Gedenkausstellung auf dem brachliegenden Gelände. Die Halle, in der die Ausstellung seit acht Jahren untergebracht ist, sollte nur drei Monate stehen und war nur als Provisorium gedacht. Sie ist zu klein, um die jährlich bis zu 120.000 Besucher aufzunehmen, Seminarräume für die geplante Bildungsarbeit stehen nicht zur Verfügung, und die Geschäftsstelle der Stiftung mußte in Ausweichräumen in der Budapester Straße untergebracht werden.

Während der Stiftungsrat davon ausgeht, daß die Gedenkstätte 45 Millionen Mark kostet, bekräftigte die Finanzverwaltung gestern, mit insgesamt 35 Millionen Mark auskommen zu können. Die Hälfte dieses Betrags trägt der Bund. Wäre im Juni 1996 wie geplant mit dem Bau begonnen worden, hätten Berlin und der Bund in diesem Jahr jeweils 5 Millionen Mark zahlen müssen. Babara Junge