„Irgendwo im Himmel konzipiert“?

Sue Ellen säuft wieder, die Ölförderung läuft wieder. Miss Ellie weint, J.R. greint: Die legendäre US-Soap „Dallas“ ist wieder da! Ein rezeptionsgeschichtlicher Rückblick aus gegebenem Anlaß, zusammengestellt und kommentiert  ■ von Harald Keller

Jedes Volk, so sprach neulich ein befreundeter Redakteur bitter in die Welt hinaus, hat das Fernsehen, das es verdient. Er hatte kurz zuvor zum ersten Mal „Nur die Liebe zählt“ gesehen. Redlich verdient hatten wir Deutschen uns die primetime soap „Dallas“, als sie im Juni 1981, gut drei Jahre nach dem US-Start, endlich auch nach Deutschland kam. Die ersten Episoden nämlich wurden teils mit deutschen Abschreibungsgeldern finanziert; als Belohnung erhielten die Investoren über 200 Prozent Verlustzuweisung.

Nicht dieser Umstand, sondern die angeblich minderwertige Machart der Serie führte hierzulande bereits vor Ausstrahlungsbeginn zu leidenschaftlichen Diskussionen namentlich unter denjenigen, die noch keinen Meter der verfemten Serienware zu Gesicht bekommen hatten. Professor Dieter Stolte (ZDF) lehnte für seine Anstalt derartigen Schund rigoros ab, denn: „Irgendwo ist eine Grenze.“ Stolte änderte seine Meinung in bemerkenswertem Tempo und buchte wenig später den ähnlich angelegten „Denver-Clan“, um, so der wendige Programmchef, dem offensichtlichen „Bedürfnis des Publikums nach großen Familien-Epen“ gerecht zu werden.

Unterdessen ging die medienkritische Debatte weiter. Die ARD ließ die Kontrahenten in der Kultursendung „Arena“ zu Wort kommen, und im Bundestag wurde formell angefragt, ob dem deutschen Zuschauer ein derartig verzerrtes Bild der Vereinigten Staaten überhaupt zugemutet werden dürfe. Alt- bis neunmalkluge Einwände kamen unter anderem vom notorisch verhaltensauffälligen Bayerischen Rundfunk, der jedoch keine Bedenken hatte, alte „Dallas“-Episoden in seinem 3. Programm zu wiederholen, um vom Erfolg der Millionärssaga zu profitieren. Im Spiegel, dem Zentralorgan des kritischen Zuschauers, stellte Valeska von Roques die Logik des Ganzen streng in Frage, konnte sich der Faszination des Gesehenen aber auch wiederum nicht entziehen: „Der Zuschauer hält hier inne und fragt sich: Was nun? Und dann können offenbar auch aufgeklärte Zuschauer – solche, denen die Handlung dumm und die Schauspielleistung schlecht erscheinen – in die Lage geraten, daß sie ihr Gerät in einer Woche um die gleiche Zeit wieder anschalten.“

„Diese und ähnliche Diskussionen änderten jedoch nichts daran, daß ,Dallas‘ zum Publikumsrenner wurde und zum Teil auch von einigen Gegnern dieser Art Fernsehunterhaltung gerne verfolgt wurde, weil man sich so schön darüber mokieren konnte“, schrieb Wolfgang J. Fuchs 1984 in medien + erziehung, und wenige Seiten weiter rüffelte Elke Heidenreich: „Viele kritisieren nur, weil man Serien eben kritisieren muß, das gehört zum guten intellektuellen Ton, und ich kenn Euch doch, heimlich sitzt Ihr am Dienstag alle vor der Kiste, und wenn man Euch danach spontan anruft, meldet Ihr Euch aus Versehen am Telefon verträumt mit ,Ewing Oil‘.“

Den gemeinen Zuschauer scherte ohnehin nicht, was die vordenkende Klasse von sich gab. Fünfzehn Millionen Neugierige begutachteten die ersten „Dallas“- Folgen, später schalten sich im Schnitt 6,5 Millionen Zuschauer zu, die natürlich in der Bild eine engagierte Fürsprecherin fanden. Als das „Dallas“-Publikum im April 1983 mit dem üblichen „cliffhanger“ in die Sommerpause entlassen wurde, verlieh das Boulevardblatt den geschundenen Gefühlen der ratlos zurückbleibenden Fernsehnation schäumend Ausdruck und nannte das offene Ende „eine gemeine Sauerei“.

Spätestens als im April 1983 im ZDF die Konkurrenzserie „Der Denver-Clan“ Premiere hatte, kam die Intelligenzija nicht mehr umhin, intime „Dallas“-Kenntnisse zu offenbaren. Denn wer die eine Sendereihe mit der anderen vergleichen wollte, mußte sich zuvor ja kundig gemacht haben. Diedrich Diederichsens Aufsatz im Spiegel erleichterte die Revision früherer Verlautbarungen. Er zeigte sich überzeugt, „daß ,Dallas‘ irgendwo im Himmel von David O. Selznick, Sergej Eisenstein, Roland Barthes und John Ford als das massenkulturelle Kunstwerk des 20. Jahrhunderts konzipiert worden sein muß“. Mit ein bißchen „namedropping“ – „Die Serie stand eher in der Tradition Brechts als in der von Lukács“ – verschaffte er der fernsehenden Linken ein gutes Gewissen und gab den Seminaristen fürsorglich die notwendigen Argumentationshilfen mit auf den Weg: „,Dallas‘ war das erste Sein- bestimmt-das-Bewußtsein-Produkt der amerikanischen Unterhaltungsindustrie. Das erste vollmarxistische Kunstwerk made in USA – aber ohne jedes verbrauchte europäische Zeichen für ,links‘, ,kritisch‘, ,dekuvrierend‘.“

Fortan galt die öffentliche Debatte nicht mehr der angeblichen Anspruchslosigkeit der Serie, sondern der Frage, ob sie dem glamourösen „Denver-Clan“ gegebenenfalls vorzuziehen sei. Die taz entschied sich früh für den „Denver- Clan“, zumindest auf der Redakteursebene. Im April 1983 lobhudelte der Kritiker: „Ja, hier spielt der kleine Mann außerhalb der wolkenkratzenden, gläsernen Finanzburgen des Geldadels den Gegenpart, der sich mutig, aber fair mit harten Fäusten durchschlägt. Was Dallas für die Republikaner, kann der Denver Clan für die Demokraten werden. Ich bin gespannt darauf, wie es weitergeht. Im Denver-Clan ist alles drin, politischer, fesselnder und geistreicher als die Schnittmuster aus Miss Ellis' Resopalküche.“

Das Proletariat hielt prompt dagegen: „Ja, da jubelt der Säzzer, wenn der taz-Redakteur rausläßt, was er für geistreich hält!“ Ein T- Shirt-Slogan bestätigte übrigens die akkurate politische Analyse des taz-Autors: 1980 waren Leibchen mit dem Aufdruck „Ein Demokrat erschoß J.R.“ der Hit auf dem Parteitag der Republikaner. Auch der Spiegel neigte eher zum wonniglich ausgespielten „bigger- than-life“-Stil der „Denver-Clan“- Produzenten, glaubte aber selber nicht, daß die Masse seinem Verdikt folgen werde: „Ob aber dieses Stück ,kulinarischen Fernsehens‘ (ZDF) die deutsche Liebe zur ,Dallas‘-Familie nachhaltig schmälern kann, ist sehr fraglich. Vermutlich taugen die kleinkrämerischen Southfork-Simpel eher als Identifikationsfiguren.“

„Der Denver-Clan“ verbuchte riesige Erfolge beidseits des Ozeans, „Dallas“ jedoch hielt sich zwei Jahre länger. Als dann die Klappe zum letzten Mal zuschnappte, wurde dies von deutscher Seite sehr bedauert, denn innerhalb der ARD galt „Dallas“ unter den Kaufserien auch 1991 noch immer als „die Nummer eins“, so der zuständige Redakteur damals in einem Gespräch mit dpa. Da die letzte Episode wiederum mit einem „cliffhanger“ endete, wurden immer wieder Hoffnungen laut, „Dallas“ könnte eines Tages fortgesetzt werden, vielleicht, wie bereits eine Vielzahl anderer Serienklassiker, als TV-Movie-Reihe. Bis dahin bleibt nur, beizeiten aufzustehen und die Wiederholung der frühen Staffeln zu goutieren.