Ein Ende in Demut

■ Andrej Kosyrew macht im Kreml das Licht aus

Andrej Kosyrew mußte einfach gehen. Präsident Jelzin nahm das Rücktrittsgesuch seines dienstältesten und umstrittensten Ministers gestern an, geärgert haben wird er sich kein bißchen. Ihr Verhältnis war schon seit längerem erheblich gestört. Kosyrew hatte keine Alternative mehr.

Seit Jelzin ihn im Frühherbst öffentlich gerügt und versuchsweise in die Demission entsandt hat, ihm dann indes nochmals ein Gnadenbrot reichte, hatte der Außenminister seine Glaubwürdigkeit innen wie außen ohnehin eingebüßt. Er ertrug die Demütigung, wie es einem treuen Staatsdiener eigentlich gut zu Gesichte steht – in Demut. Mit der Entscheidung, nun sein Mandat wahrzunehmen, rettet er das, was von seiner Ehre noch übriggeblieben ist. Mit Kosyrew geht ein höchst flexibler Diplomat, der im Laufe seiner Amtszeit mit überraschenden Kurskorrekturen aufwartete, ohne allerdings den Fluchtpunkt seines Vorhabens aus den Augen zu verlieren: Rußlands Integration in den Westen.

Der Opposition aus Nationalisten und Kommunisten galt der junge Außenminister immer als ein Verräter an den imperialen Interessen Rußlands. Ihm machte man zum Vorwurf, die nationale, auf eine Supermachtrolle ausgerichtete Mission Moskaus nicht mit hinreichendem Nachdruck zu vertreten. Gerade damit bewies Kosyrew seinen Realitätssinn. Nichts läßt sich bewerkstelligen, was von der Wirklichkeit soweit entfernt ist wie der Wunsch, wieder die erste Geige zu spielen. Dennoch stimmte Kosyrew für das heimische Publikum in diese Melodie ein. Auch er schlug die Töne eines flammenden Patrioten an, der sich einiges vorstellen konnte, um die Ehre „Mütterchen Rußlands“ zu retten. Nicht selten sorgte er damit für Irritationen jenseits der Heimat.

Mit seinem Abgang steht Rußlands Öffnung nicht auf dem Spiel. Eine klare außenpolitische Linie hat es bis dato ohnehin nicht gefunden. Schmerzhaft ringt es um sein imperiales Selbstverständnis. Eine Identität, die auf einem nationalstaatlichen Gedanken fußte, konnte es nicht ausbilden. Obwohl längerfristig kein Weg daran vorbeiführt. Nur eine Annäherung an Europa als gleichberechtigter Partner kann die Schmerzen lindern helfen. Das hatte Kosyrew erkannt, und auch seine Nachfolger werden sich dieser Einsicht nicht verschließen können. Wer auch immer sein Amt übernimmt – wenn im Kreml getrommelt wird, so lehrt die Erfahrung, ruft er nicht mehr gleich zur Schlacht. Klaus-Helge Donath, Moskau