Kosyrew flüchtet sich ins Parlament

■ Der russische Außenminister erklärt seinen Rücktritt und will künftig lieber in der Duma Politik machen

Moskau (dpa/rtr/taz) – Drei Wochen nach dem Wahlsieg der Kommunisten ist der russische Außenminister Andrej Kosyrew zurückgetreten. Präsident Boris Jelzin nahm die Bitte des als prowestlich geltenden Kosyrew um Ablösung gestern an. Jelzins Sprecher Sergej Medwedjew betonte: „Der Westen sollte den Rücktritt Kosyrews weder als Bedrohung noch als Zeichen für Änderungen in der russischen Außenpolitik auffassen.“ Garant der Außenpolitik bleibe Präsident Jelzin, sagte Medwedjew.

Spekulationen über einen möglichen Rücktritt hatte es schon seit längerem gegeben. Bereits im Herbst hatte Jelzin Kosyrew erstmals scharf kritisiert und ihn aufgefordert, die Arbeit des Außenministeriums effektiver zu gestalten. Der Kremlchef hatte vom Außenministerium mehr Durchsetzungsfähigkeit Rußlands in internationalen Fragen gefordert. Jelzin berief damals einen neuen Vizeaußenminister, um die Arbeit des Ministeriums zu verbessern.

Nach dem Sieg der Kommunisten bei den Parlamentswahlen vom 17. Dezember hatte sich der Druck auf Kosyrew weiter verstärkt. KP-Chef Gennadi Sjuganow hatte unmittelbar nach der Wahl den Rücktritt des Außenministers und eine Änderung des außenpolitischen Kurses gefordert. Nach einem Treffen mit Jelzin am 27. Dezember hatte Kosyrew erklärt, die Entscheidung über seine politische Zukunft liege allein beim Staatschef. Der 44jährige Kosyrew war seit Oktober 1990 Außenminister.

Anlaß für den gestrigen Rücktritt Kosyrews war das Auslaufen der Entscheidungsfrist für alle gewählten Abgeordneten des russischen Parlaments, ob sie ihr Mandat annehmen. Kosyrew hat ein Direktmandat in Murmansk errungen. Dem Gesetz zufolge dürfen Abgeordnete nicht gleichzeitig Minister sein.

Die Nachfolge des Außenministers gilt als offen. Neben dem gleichfalls als prowestlich geltenden Balkan-Experten Witali Tschurkin wurde in Moskau der Name des bisherigen Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses der Duma, Wladimir Lukin, genannt. Lukin gehört der Reformpartei Jabloko an. Im Gespräch waren gestern außerdem Geheimdienstchef Jewgeni Primakow, der russiche Botschafter in London, Anatoli Adamischin, der bisherige Duma-Präsident Iwan Rybkin sowie Kosyrews kürzlich ernannter Stellvertreter Igor Iwanow. bo Seite 9