: Türkische Häftlinge revoltieren
■ Nach dem Tod von drei Gefangenen weitet sich der Aufstand aus. Anschläge auch in Hamburg und Köln
Istanbul (taz) – In der Türkei gehen die politischen Häftlinge auf die Barrikaden. Nach den blutigen Ausschreitungen im Istanbuler Gefängnis Ümraniye, bei denen vorgestern drei Gefangene von Militär- und Angehörigen der Antiterrorabteilung getötet wurden, haben Häftlinge gestern insgesamt 27 Aufseher als Geiseln genommen. In Izmir brachten Gefangene drei stellvertretende Gefängnisdirektoren sowie 15 Wächter in ihre Gewalt. In Ankara wurden neun Wächter festgehalten. In beiden Gefängnissen wurde anschließend zwischen Leitung und Insassen verhandelt. In Istanbul kam es zu kleineren verbotenen Solidaritätsdemonstrationen.
Die deutsche Polizei vermutet, daß auch die Brandanschläge gegen fünf türkische Reisebüros in Köln, Brühl und Hamburg vorgestern nacht im Zusammenhang mit der Gefängnisrevolte stehen. In Hamburg habe man nahe dem Tatort ein Transparent in türkischer Sprache gefunden, das übersetzt lautet: „Wir fragen euch wegen der Revolte im Knast“. Menschen wurden bei den Anschlägen nicht verletzt.
In Istanbul blieb die Situation vor dem Krankenhaus, in das verletzte Häftlinge eingeliefert worden waren, angespannt. Familienangehörige versuchten vergeblich, in das Krankenhaus, das vom Militär weiträumig abgesperrt worden war, hineinzukommen. „Ihr seid Mörder!“ schrien sie. Auch eine Delegation des Istanbuler Menschenrechtsvereins wurde nicht eingelassen. „Der Staat hat ein Verbrechen begangen. Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden“, so der Vorsitzende Ercan Kanar. Insgesamt sind 67 Verletzte im Krankenhaus, unter ihnen auch Wächter und Soldaten. Einige sollen in Lebensgefahr schweben.
Die Revolte richtet sich gegen die miserablen Haftbedingungen in den Gefängnissen, in denen überwiegend linksgerichtete Häftlinge untergebracht sind. Bis zu zehn Gefangene teilen sich je eine Zelle. Das Sondergefängnis Ümraniye trägt unter den Insassen den Spitznamen „Sarg“. Familienangehörige sowie Anwälte wurden immer wieder massiv behindert. Nach einem 46tägigen Hungerstreik und Protestaktionen der Gefangenen war es bereits Ende vergangenen Jahres zu Übergriffen der Staatsgewalt gekommen. Seitdem weigern sich die Häftlinge, ihre Zellen zu verlassen und an den Zählungen teilzunehmen. Ömer Erzeren
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen