Kakerlaken und Tranquilizer

■ Premiere im Brauhauskeller: „Der Disney-Killer“, ein postapokalyptisches Geschwister-Drama aus dem Souterrain

Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: giftgrün gestrichen, kakerlakenverseucht, apokalyptisch. Und doch eine Oase. Denn Preslay und Haley leben dort unten, abgeschnitten von der Außenwelt, aber was heißt das schon, wo doch draußen eh alles kaputt und tot ist. Preslay und Haley sind Zwillinge – und agieren auf den ersten Bick so wie ein altes Ehepaar, das sich das Wesentliche schon lange gesagt hat und in einer chronischen Anwandlung von Regression nur noch über Schokoladensorten verständigt.

Fehlanzeige: Presley und Haley sind 28, und der Bruder kümmert sich rührend und rücksichtslos um seine psychotische Schwester. Die neben Phasen zickigster Aggression und jämmerlichstem Selbstmitleid an Krampfanfällen leidet. Daraus erlöster er sie mit großzügigem Gaben aus der elterlichen Medizinflasche, zwangsverabreicht mit dem Schnuller. Die Folge: Haley dämmert Nacht und Tag unter Wolldecken verborgen vor dem Fernseher vor sich hin. Sein bester Trick, um sie kurzzeitig von ihren bösen Visionen zu abzulenken sind neben Schokokeksen mit Orangenfüllung Schlaftabletten. Womit ihr Aktivitäten aufgezählt sind. Doch für die Geschwister ist das nichts Neues, sondern das Zentrum ihres Lebens. Denn seit die Eltern vor zehn Jahren starben, haben sie nicht nur nichts Vernünfiges mehr gegessen, sondern sich auch in der eigenen Wahnwelt eingekapselt. Man weiß, wohin das führt. In dem Fall in die Flucht in die Phantasie, die einzigen Überlebenden nach dem weltweiten Atom-Tod zu sein.

Die löst sich alsbald in Luft auf, genauer: verkörpert sich in Cosmo Disney (schön abstoßend: Max Hopp). Das hat Presley nun davon, einem Fremden die Tür geöffnet zu haben. Cosmo ist kein triefäugiger, abgewrackter Endzeit-Loser. Er beschreibt sich selbst schlicht als „vollkommen“. Herrisch, eloquent, desillusioniert, zynisch – eine kontrastreichere Figur zu dem apathischen Presley, als Cosmo es ist, hätte sich schwer finden lassen. Cosmo ist aber auch ein komischer Vogel: Er verzehrt Kakerlaken, Spinnen und andere unappetitliche Kleinigkeiten. Und er hat sogar Arbeit. Keinen Tanzbär führt er vor, aber einen Kerl mit Lederhand und einer Maske, wie sie Hannibal Lector im „Schweigen der Lämmer“ bevorzugt.

Vielleicht liegt es ja daran, daß Cosmo, der Disney-Killer, keine Kindheit gehabt hat, daß er eine satanische Lust dabei empfindet, seinen „Arbeitskollegen“ zu präsentieren wie seinerzeit der Elefantenmensch auf dem Jahrmarkt zur Schau gestellt wurde. Im Laufe des Stückes zeigt sich aber dann, daß Cosmo Disney auch nur ein Mensch ist, besser: manchmal sein will. Wenn er Presley umwirbt und ihm seine Freundschaft in Aussicht stellt, ist der zu allem bereit. Und zieht sich auch mal eine Kakerlake rein.

Selbst im durch Tabletten sedierten postapokalytischen Leben gibt es Alltag. Und der hat die Geschwister wieder, als Cosmo das Weite sucht. Bloß daß Presley jetzt erst mal die Tür geschlossen hält.

Philip Ridley, der circa 35-jährige Autor vom „Disney-Killer“ (und Regisseur des Films „Schrei in der Stille“), der ein Geheimnis um sein Alter macht, hat keine großen schriftstellerischen Ambitionen: „Die Absicht des Stückes ist, ein paar Türen zu öffnen, um Dinge zu zeigen, die dahinter vorgehen.“ Die Schauspieler tragen heftig dazu bei.

Gundula Köster, als Gast aus dem Berliner Gorki Theater, findet eine Balance zwischen zickiger Schwester und sexuell irritierter junger Frau, die nicht recht zu wissen weiß, wie sie die schmerzlichen Zeichen ihres Körpers interpretieren soll. Wenn sie sich sich im chemisch abgedämmten Alptraum windet, dann meint man zu wissen, vor welchen Dämonen sie auf der Fluch ist. Als Bruder Presley Pierre Besson, der sich auch in seiner zweiten Spielzeit auf der Bühne aller Aufmerksamkeit sicher sein kann. Den einsamen Jungen, zwischen Festhalten an der ewigen Kindheit und der Sehnsucht nach Erlösung aus dieser Falle hin- undhergerissen, spielt Besson mit atemberaubender Intensität. Regisseur Kai Neumann, der mit „Disney Killer“ seine zweite Arbeit nach dem überaus erfolgreichen „Hausmeister“ von Harold Pinter vorlegt, kann sich auf seine Darsteller verlassen. Ein wenig zu sehr wohlmöglich. Denn anders als im Theaterklassiker von Pinter, wo Neumann mit seiner Inszenierung schon durch die Besetzung eines jungen Schauspielersfür die Rolle des alten Hausmeisters einen Verfremdungseffekt herstellte, mangelt es hier manchmal an einem einfallsreichen Zugriff auf den Text.

rau/Mu

Nächste Aufführungen 10., 14., 19., 28.1., Brauhauskeller, 20.30 Uhr