„Wegen Überfüllung vorübergehend geschlossen“

■ Mehrere hundert Meter lange Warteschlange in der Kälte vor dem Gropiusbau. Zum Abschluß der Ausstellung „Berlin–Moskau“ herrschte Rekordbesuch

Als ob eine große Persönlichkeit gestorben wäre: Menschen stehen in Zweierreihe am Gropiusbau bis zur Stresemannstraße hin. Das ganze Wochenende über eine 200 Meter lange Schlange. Ein aufgebahrter Staatsmann, an dem man vorbeidefiliert, ist aber nicht der Grund für diese Menschenansammlung, die sich nur langsam, aber geordnet und ruhig vorwärts bewegt. Nein. Es war das unbedingte Bedürfnis, die Ausstellung des Jahres, „Berlin–Moskau, Moskau–Berlin 1900–1950“, gesehen haben zu müssen. Gestern war unwiederbringlich der letzte Tag.

300.000 Menschen haben sich seit dem 3. September die Ausstellung angesehen; rund 2.000 Exponate aus Architektur, Kunst, Musik, Theater, Fotografie und Literatur. Allein an den letzten beiden Tagen waren es insgesamt 12.000 Besucher. Bis Mitternacht hatte das Museum in der vergangenen Woche geöffnet. Die Leute mußten teilweise anderthalb Stunden vor der Tür anstehen, dann vor der Garderobe, schließlich vor der Kasse, bevor sie endlich ihr Ticket in den Händen hielten. „Die Ausstellung ist vorübergehend wegen Überfüllung geschlossen“, hieß es zeitweilig. Trotz quälender Warterei behielt man die Ruhe.

Jedenfalls fast immer. „So ein paar Spinner gibt es schon“, sagte ein Türsteher. Die würden an der verschlossenen Tür rütteln oder über die Sauerei schimpfen, da draußen in der Kälte sich einen abfrieren zu müssen, über die schlechte Organisation wettern oder dann nicht einsehen, daß sie ihre Garderobe ablegen müssen. Nicht mehr als 2.300 Besucher, so die Order der Museumsleitung („im Interesse der Kunst und des Besuchers“), sollten sich gleichzeitig im Gebäudeinneren aufhalten. Das bedeutete: Etwa alle halbe Stunde öffneten sich die Museumspforten für den nächsten Schwung.

Manche Besucher machten im Angesicht der Warteschlange auf ihren Absätzen kehrt. Zum Beispiel ein älteres Ehepaar: „Wir gehen lieber Kaffee trinken.“ Oder eine 40jährige Frau: „Stundenlang anstehen? So gut kann eine Ausstellung nicht sein.“ Doch alle, die aus dem Gropiusbau herauskamen, waren angetan. „Lohnt sich auf jeden Fall“, schwärmte ein Besucher, der den dreieinhalb Kilo schweren Ausstellungskatalog wie eine Trophäe vor sich hertrug: „War einer der letzten.“

„Extrem gut“ sei der Katalog abgesetzt worden, sagte Helen Adgins vom Berlinischen Museum. 40.000 Exemplare, schätzte sie, habe man verkauft. Außergewöhnlich sei auch der hohe Anteil an Besuchern, die sich die Ausstellung mehrmals angeguckt haben. Rund ein Drittel der verkauften Tickets waren Mehrfachkarten. Über den Andrang der letzten Tage zeigte sich Adgins nicht überrascht: 1988 bei „Stationen der Moderne“ hätten die Menschen „bis weit auf die Stresemannstraße“ gestanden.

Wer „Berlin–Moskau“ verpaßt hat: Ab 5. März läuft die Ausstellung im Moskauer Puschkinmuseum. Bis Ende Juni. „Aber“, so meinte ein jüngerer Mann, der sich schließlich doch anstellte, „da sind die Schlangen wahrscheinlich noch länger.“ Christoph Oellers