: Fein, aber zu klein
■ Nach zwei Jahren ist Schluß: Heute erscheint die neuartige Pariser Nachrichtenzeitung "InfoMatin" zum letzten Mal
Nur zwei Jahre hat der Traum von der Tageszeitung gedauert, die die Nichtleser mit einem schnellen Nachrichtenüberblick erobern wollte. InfoMatin, die jüngste, kleinstformatige, farbigste und preisgünstigste französische Tageszeitung, erscheint heute mit ihrer letzten Ausgabe. Hohe finanzielle Verluste haben der einzigen Pariser Zeitungsneugründung der letzten 20 Jahre, die sich länger als ein paar Tage halten konnte, den Garaus gemacht.
Auf 150 Millionen Franc (etwa 44 Millionen Mark) beziffert sich das Defizit, das InfoMatin seit dem 10. Januar 1994 gemacht hat. Rund 3 Millionen Franc weitere Verluste pro Monat würde die Zeitung voraussichtlich in diesem Jahr kosten. Diese Negativbilanz und ein „Zerwürfnis mit der Redaktion“ nennt Hauptaktionär André Rousselet (78 Prozent) als Gründe für die Konkursanmeldung. In den kommenden fünf Tagen muß nun das Handelsgericht nach einem neuen Käufer suchen. Wenn der sich nicht findet, wird liquidiert, und die 86 Angestellten – darunter 55 Journalisten – stehen auf der Straße.
Das kleine, metrotaugliche Blatt im halben taz-Format sollte vor allem jungen, berufstätigen Lesern eine schnelle Information bieten. Es erschien nur an den fünf Werktagen und kostete mit 3,80 Franc (1,15 Mark) nur halb soviel wie die anderen Tageszeitungen. Wie das Fernsehen arbeitete InfoMatin mit bunten Bildern. Neben einem großen Foto auf der Eins lieferte es täglich einen fotografischen Nachrichtenüberblick auf der Drei, ein stark bebildertes zweiseitiges Dossier und zahlreiche weitere bunte Fotos und Zeichnungen quer durch seine 24 Seiten. Die Texte bestanden aus Meldungen, die nach Rubriken unterteilt waren, mehreren kurzen Artikeln pro Seite und Kurzkommentaren.
„Lange Riemen“ gab es bei InfoMatin grundsätzlich nicht. Dafür lieferte das Blatt mit seiner jungen Equipe oft eine erfrischend einfache Sprache und mehrfach verblüffende journalistische Scoops: Unter anderem brachte es mit einer Undercover-Recherche die Schmiergeldzahlungen bei der Vergabe von Sozialwohnungen ans Tageslicht und damit eine Prozeßwelle ins Rollen. Seine schönste Titelseite aber erschien am Tag nach der Präsidentschaftswahl im letzten Jahr. „Verdammt – sieben Jahre“ („Putain – 7 ans“) ließ InfoMatin da einen feixenden Jacques Chirac sagen.
In fünf Minuten, so die Hypothese der Macher, sollte sich der Leser einen Nachrichtenüberblick verschaffen, umfassender und kompetenter als bei der elektronischen Konkurrenz und weniger anstrengend als bei den Traditionsblättern. Das Rezept schien zunächst aufzugehen. In den ersten Wochen verkaufte das Blatt täglich 300.000 Expemplare. Medienforscher sprachen von einem Phänomen der 90er Jahre. Die Konkurrenz bei Le Monde und Libération zog ihrerseits mit neuen Layouts und mehr Rubriken nach. Langfristig jedoch pendelten sich die Verkaufszahlen bei 70.000 täglichen Exemplaren ein – 50.000 weniger, als für das wirtschaftliche Überleben nötig gewesen wären. Das Anzeigenaufkommen blieb – wie bei den meisten französischen Tageszeitungen nach dem Golfkrieg – mager.
Die Konkurrenz reagierte am Wochenende betroffen auf die Konkursankündigung von InfoMatin. „Presse im Sturm???“, titelte Le Monde, die ihrerseits dringend nach neuem Kapital sucht, ihren Kommentar. Und Libération, über deren Belegschaft seit Wochen das Damoklesschwert von Massenentlassungen schwebt, schreibt von einem „Warnsignal für die Presse“.
Tatsächlich sind die Franzosen faule Zeitungsleser. Nur 156 von 1.000 Franzosen lesen täglich eine Zeitung, im Vergleich zu 317 Deutschen und 610 Norwegern. Sämtliche Pariser Tageszeitungen, mit Ausnahme des Sportblattes Equipe und der Boulevardzeitung Le Parisien, büßen seit Mitte der 80er Jahre massiv Käufer ein. Am stärksten betroffen ist das Boulevardblatt Françe Soir, das in den letzten 20 Jahren eine halbe Million Auflage verlor und heute nur noch 186.000 Exemplare pro Tag los wird. Konstant hohe Auflagen haben dagegen in Frankreich die Wochenzeitungen und viele regionale Tageszeitungen. Am meisten verkauft mit 770.000 das Provinzblatt Ouest France.
Neben dem Leserschwund sind für die Zeitungskrise unter anderem die massiven Anzeigenverluste der letzten Jahre verantwortlich sowie der Preisanstieg beim Papier, allein 1994/95 50 Prozent. Hinderlich geworden sind auch die Monopole bei Pressevertrieb und Druck, die noch aus den vierziger Jahren stammen. Der Präsident des französischen Presseverbandes FNPF, Jean Miot, resümiert die Lage so: Die Tagespresse stecke in ihrer schwersten Krise seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Dorothea Hahn, Paris
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