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Mäuse mit roten Füßen

„Tiere dürfen nicht zu Chemiefabriken werden.“ Der niederländische Gentechniker Herman de Boer, Schöpfer des genmanipulierten Stiers Herman, kritisiert heute die Gen-Euphorie  ■ Aus Leiden Falk Madeja

Der Mann, den Tierschützer gelegentlich als Dr. Frankenstein oder gar als Dr. Mengele bezeichnen, hat einen auffallend weichen Händedruck. Und er pflegt den Kaffee in der Kochnische seines Großbüros in der Universität Leiden selbst zuzubereiten. Herman de Boer, 49, fühlt sich wegen des Mengele-Vergleichs keineswegs beleidigt. Der Friese aus der niederländischen Provinz Groningen hat ein seltsames Wesen geschaffen: Herman; einen 1.400-Kilo- Stier, in dessen Erbinformation der Genforscher die künstlich erzeugte Erbsubstanz des Menschen schleuste.

Als der Stier Herman, der nach einem Tierpfleger benannt wurde, am 16. Dezember 1990 auf die Welt kam, knallten bei Gene Pharming Europe (GPE) in Leiden Champagnerkorken. Das Wissenschaftler-Team zog sich im Übermut prustend T-Shirts über mit der Aufschrift „1990 – The year of the transgenetic cow“. Heute sitzt Herman de Boer ernüchtert wieder in der Universität. Er hat die Firma, die er selbst gründete, verlassen und warnt plötzlich davor, aus Kühen dürfe man keine Chemiefabriken machen.

Der Schlüssel des Herman-Projektes liegt in der Milch. Ein Humangen soll die Erbinformation für das Menschen-Eiweiß Lactoferrin an die Tiere weiterreichen. Die Hoffnung: mit dem Lactoferrin aus dem Kuheuter soll das Menschen-Immunsystem gestärkt werden – Menschen-Milch nicht nur für Babys, sondern auch für Erwachsene, die vielleicht Aids, Krebs oder Grippe haben. Erste Liter der Wundermilch sollen Hermans Nachkommen noch dieses Jahr abliefern.

Poelsbroek, ein Dorf, eine halbe Autostunde von Leiden gelegen. GPE hat hier einen Hof gepachtet. Der Chef, George Hersbach, ein stets freundlicher, optimistisch auftretender Mann mit einer von Kuh-Motiven übersäten Krawatte, spricht strahlend-visionär über Tausende bald auf holländischen Weiden grasende transgene Kühe, die Kranke heilen und der Gen- Firma Hunderte Millionen Gulden abliefern werden. „Das so mit Kühen zu machen ist viel billiger, als eine Fabrik zu bauen“, lacht er. Die Lactoferrin-Milch könne einfach in den Kaffee eingerührt werden. Hersbach nennt auf dem Hof nicht einmal de Boers Namen: beide haben sich vor einem Jahr überworfen. De Boer zerknirscht: „Ich war selbst dafür, daß Hersbach kommt. Ich wollte einen Geschäftsmann als Boß, damit ich mich weiter der Forschung widmen konnte.“ Eine Illusion, schnell kam es zum Streit. Herman war ein Zufallstreffer, ich wollte neben Herman Kuh A, B und C haben. In Hersbachs Augen sollen aber viel zu früh die Dollarzeichen aufgeblinkt sein. Er wollte schnelles Geld, ich langfristig forschen – das paßte nicht. Hersbach, nun allein verantwortlich, verbreitet seitdem in den Medien grenzenlose Euphorie.

De Boer ist im friesischen Dorf Nijelamer aufgewachsen, mit Kühen; de Boer heißt auf deutsch der Bauer. Zur Schule wurde er von seinen Eltern mit der Bibel unter dem Arm geschickt. Die strenge Erziehung hat Spuren hinterlassen: „Ich mag keinen Betrug.“ Tatsächlich beteuerte er nachweislich mehrmals – wenn die Tiere leiden würden, dann stoppe er sofort.

Im Juni 1993 sah er dann Tiere leiden – in Finnland. Die Firma Finne Gene, Universität Kupio. Dort steht das transgene Kalb Huomen. Der Genetiker Juhanni Jänne experimentiert mit dem Hormon Erythropoietin, auch Epo genannt. Es ist ein menschliches Hormon, das die Produktion roter Blutkörperchen anregt. Radsportler dopen sich damit, was allerdings den Nachteil hat, daß sie auch schon mal tot vom Rad fallen. „Ich habe mir die Labortests angesehen, die sie mit Epo und Mäusen machten. Furchtbar – die Mäuse hatten rote Pfoten und rote Schwänze.“ Die Mäusekörper schienen vor roten Blutzellen fast zu platzen. De Boer nimmt langsam die Hände vor das Gesicht, erinnert sich. Es war Mittsommernacht, ich schrieb ins Tagebuch: Die Finnen sind mit einem riskanten Projekt beschäftigt. Nicht nur die Finnen: GPE-Chef Hersbach betrieb die Übernahme von Finne Gene, die im April 1995 zustande kam. De Boer, inzwischen draußen, aber über die US-Firma Genentech indirekt Anteilhalter, kritisierte zur Verblüffung des Niederländischen Tierschutzbundes den Deal. Kühe dürfen keine Chemiefabrik werden, meinte er plötzlich.

Herman de Boer sieht hier die Grenze, die bei der Transgenforschung gezogen werden müßte. Das Tier muß sich wohl fühlen und gesund bleiben. Huomen können sie von mir aus schlachten. Denn es wird sich nicht wohl fühlen. Zwar habe Gene Pharming Tierärzte nach Finnland geschickt, die gute Gesundheit beim Transgen-Tier konstatierten. Kein Wunder. Erst wenn das Tier Milch gibt, dann wirkt sich das Epo-Hormon aus. Soweit ist es noch nicht, aber wenn, dann wird es Huomen dreckig gehen. Schafe, denen die Wolle von allein abfällt, Riesenschweine, mit Wachstumshormonen hochgezüchtet, oder Wesen, die aus Ziege und Schaf bestehen – solche Projekte sind ihm heute ein Greuel. De Boer schiebt sich unsicher in seinem Sessel hin und her, schaut mit seinen blauen Augen auf: Das mit den Hormonen ist die Grenze. Wenn da nicht gestoppt wird, dann sind auch alle positiven Gen-Projekte gefährdet. Das sei wie mit dem Messer – damit kann man Brot schneiden oder jemand erstechen.

Bei Gene Pharming und in Finnland ist man böse: Als er hier war, kritisierte er nichts, wundert sich der finnische Wissenschaftler Juhanni Jänne. De Boer wollte den Betrieb übernehmen. Und heute kritisiert er doch nur, um seine Abfindung von der GPE hochzutreiben. Herman de Boer erwidert: Ich war damals nicht in Finnland, um zu kritisieren. Mich interessierte die Technologie und nicht das Kalb. Vielleicht hätte ich es nach der Übernahme schlachten lassen. Inzwischen kommunizieren Gene Pharming und de Boer nur noch über Anwälte.

De Boer kehrte 1987 aus den USA zurück. Er hatte Sehnsucht nach dem grünen Land und wollte etwas Eigenes beginnen. Mit Hilfe amerikanischer Investoren baute er Gene Pharming Europe auf. Das Ziel: transgene Wesen zwischen Mensch und Tier. Nachdem im Haager Parlament gefragt wurde, ob denn der 8. Schöpfungstag angebrochen sei, bildete das Parlament eine Zulassungskommission für das Genexperiment. De Boer: „Ich dachte, fein, da muß ich nicht die ganze Verantwortung tragen. Paul Krimpenfort, damals dabei, galt als Experte für transgene Mäuse. Nach den Mäusen ging GPE zur Kuh über. Schließlich gelang es, mehr zufällig, der transgene Embryo saß im Kuhleib.“

Das Projekt saß aber bald in der Klemme – die Amerikaner wollten immer mehr, und das immer schneller, andererseits drohte die Parlamentskommission, das Projekt zu blockieren. „Ich bin dreißigmal im Jahr zu Vorträgen übers Land gefahren, habe mit Bauern und den Landfrauen gesprochen.“ Mit dem Landwirtschaftsministerium vereinbarte er, dem Projekt ein populäres Ziel zu geben – etwa Bekämpfung von Krankheiten wie Mastitis (Entzündung der weiblichen Milchdrüse). Bei Organisationen von Rheuma- oder Hämophilie-Patienten fand er Unterstützung, weil er denen einredete, die Lactoferrin-Milch sei die Chance schlechthin. Heute gibt er zu: Das haben wir gemacht, um die Politik günstig zu stimmen. Die Anwendungen haben gar nicht interessiert. Wir fanden es ein interessantes Experiment, die Lactoferrin- Milch war Zukunftsmusik. Als 1992 auch Königin Beatrix sich in ihrer Weihnachtsansprache fragte, ob denn wirklich alles, was gemacht werden kann, auch gemacht werden darf, konterte de Boer demagogisch: Sollen wir nachlassen, diesen Patienten zu helfen, und die Technologie nicht weiterentwickeln?

1993 enthüllte dann das angesehene NRC Handelsblad, daß der Babynahrungskonzern Nutricia das Projekt heimlich mit etwa vier Millionen Mark finanzierte. Nutricia bestritt das immer, aber de Boer gibt zu: Natürlich war das so. Wir haben die Beteiligung Nutricias geheimgehalten, weil die das wollten. Nutricia ist seit der Übernahme des größten Konkurrenten, der deutschen Milupa, auch in deutschsprachigen Ländern die Nummer eins.

Als im Februar 1993 der knallharte Geschäftsmann Hersbach kam, das „trojanische Pferd“ (NRC Handelsblad), feuerte der nach einer Woche de Boers Freund Krimpenfort. De Boer blieb noch ein Jahr, wurde nach und nach an die Seite gedrängt. Um dem Projekt nicht zu schaden, fingierte er öffentlich, es sei Zeit, was Neues zu beginnen. In Wirklichkeit kehrte er zur Uni Leiden zurück und will nun anhand seines Tagebuchs seine Lebensgeschichte schreiben.

Sein Name aber bleibt ewig mit Stier Herman verbunden. Ich habe Angst, daß es später mal heißt, du warst doch dabei – warum hat du nichts dagegen gesagt? Es werde schwierig sein, das später seinen Söhnen zu erklären. Ob er eine neue Biotechnologie-Firma aufmachen würde? Ja, sagt er, ohne zu zögern. „Es ist nur schwierig, das Risikokapital dafür aufzutreiben.“ Vielleicht aber auch, den Zauberlehrling im Griff zu behalten.

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