Costa Rica rätselt über das Kommando Viviana Gallardo

Nach der linken Aktivistin Viviana Gallardo nennen sich die Entführer einer Deutschen und einer Schweizerin in Costa Rica. Ihre Forderungen reichen von Gehaltserhöhungen für Staatsbedienstete bis zur Freilassung von Rechtsextremen. Viel spricht dafür, daß es schlicht ums Geld geht  ■ Aus San José Ralf Leonhard

Drei Tage nach den ersten Kontakten mit den Entführern einer Deutschen und einer Schweizerin in Costa Rica sind die mysteriösen Geiselnehmer wieder verschollen. Ungehört verhallten am Wochenende Appelle der costaricanischen Regierung und des vermittelnden Priesters Eduardo Bolanos, rasch Verhandlungen zur Freilassung der deutschen Touristin Nicola Fleuchaus (24) und der Schweizer Reiseleiterin Regula Susanna Sigfried (50) aufzunehmen.

Der Priester Bolanos äußerte sich beunruhigt, daß die Geiselnehmer, die sich als „Kommando Viviana Gallardo“ ausgeben, seit Donnerstag – entgegen ihren Ankündigungen – nicht mehr mit ihm telefonierten. Costa Ricas Informationsminister Soto dementierte Berichte, wonach eine Gruppe deutscher Sicherheitsexperten bereits am vergangenen Donnerstag in Costa Rica eingetroffen ist, um zur Beendigung des Geiseldramas beizutragen. Er könne lediglich bestätigen, daß der Chef des Reiseunternehmens Neckermann, Heinz Dettmar, dort sei. Laut Soto sind auch Berichte falsch, wonach sich die Familien der Entführten und das Unternehmen Mercedes Benz, bei dem der Freund der verschleppten Deutschen beschäftigt ist, zur Zahlung des Lösegelds bereit erklärt hätten.

Von den Kidnappern, die die beiden Frauen am Neujahrstag von dem Berghotel „Laguna Lagarto Lodge“ im Norden Costa Ricas etwa 20 Kilometer von der nicaraguanischen Grenze entführten, wurde bisher lediglich das Fluchtauto gefunden. Von ihnen wie von den Geiseln fehlt weiterhin jede Spur. Die Entführer hatten gedroht, ihre Geiseln zu töten und ein Lösegeld von einer Million Dollar (etwa 1,43 Millionen Mark) sowie einer Million Colones (etwa 7.150 Mark) gefordert. Außerdem verlangten sie einen Preisstopp für öffentliche Dienstleistungen, eine 18prozentige Gehaltserhöhung für Staatsbedienstete und die Freilassung von Häftlingen.

In Costa Rica wird über die Identität der Geiselnehmer weiter gerätselt. Während der Name „Kommando Viviana Gallardo“ auf einen politisch linken Hintergrund deutet, sprechen viele Faktoren für rein kriminelle Motive. Viviana Gallardo war Mitglied einer linksradikalen Gruppe, die Attentate gegen US-Einrichtungen in Costa Rica plante. Sie wurde 1981 nach einer Schießerei, bei der zwei Polizisten den Tod fanden, festgenommen und wenig später in ihrer Zelle von einem Sicherheitsagenten erschossen.

„Wenn es sich bei dem Kommando wirklich um eine linke Gruppe handeln würde, warum soll sie die Freilassung der Brüder Falla Elizondo fordern, die zum rechtsextremen Lager gehören“, fragt sich Livia Cordero, die Anfang der Achtziger selbst in radikalen Gruppen aktiv war und auf der Grundlage fabrizierter Anschuldigungen zweieinhalb Jahre im Gefängnis verbrachte, schließlich aber von allen Vorwürfen freigesprochen wurde. Die Brüder erlangten im April 1993 Berühmtheit, als sie den Justizpalast in San José überfielen und die Richter als Geiseln nahmen.

Auch Oberst Barrantes, der in Boca Tapada, vier Autostunden nördlich von San José, das Kommando führt, hält die politischen Forderungen der Geiselnehmer für Humbug. „Bei dieser Sache geht es nur ums Geld“, glaubt er. Von bewaffneten Gruppen habe man in der Region bisher nichts gehört, so Tapada.

Auch die in Costa Rica weitverbreitete Behauptung, die Entführer seien Nicaraguaner, wird im Grenzgebiet stark bezweifelt. Die dort patrouillierenden nicaraguanischen Soldaten sind sich sicher, daß es sich jedenfalls nicht um ehemalige Contras oder Soldaten mit einer Organisation im Hintergrund handelt. Auch Vinzenz Schmack, der Eigentümer des Berghotels Lagarto Lodge, aus dem die beiden Frauen verschleppt wurden, ist anderer Ansicht. Der pensionierte Bankdirektor, der die ökologisch orientierte Herberge am Rande des Dschungels als sein persönliches Hobby aufgebaut hat, war mit den anderen Geiseln drei Stunden in ein dunkles Zimmer gesperrt, bevor die maskierten Banditen mit ihren Opfern abzogen. Er lebt seit über 20 Jahren in der Region und kann den nicaraguanischen Akzent erkennen. Den hätten die Entführer aber nicht gehabt.

Gegen die Version, eine organisierte Gruppe stünde hinter der Entführung spricht außerdem, daß kein säuberlich ausgedruckter Forderungskatalog mitgebracht wurde – statt dessen wurde dieser in letzter Minute dem verdatterten Herbergskoch Alfonso in die Feder diktiert. Ein später in San José gefundenes Kommuniqué, dessen Authentizität noch in Zweifel steht, strotzt vor Rechtschreibfehlern.

Darin identifizieren sich die Geiselnehmer erstmals als „Kommando Viviana Gallardo“ und drohen mit terroristischen Anschlägen gegen Brücken, Stromleitungen und US-amerikanische Familien. Auch die Polizei tappt offenbar im dunkeln. Um Effizienz zu zeigen, nahmen die costaricanischen Sicherheitskräfte am vergangenen Mittwoch und Donnerstag mehrere Männer fest, die früher mit Kidnapping und Geiselnahme zu tun hatten. Nach diversen fruchtlosen Verhören mußten sie jedoch alle wieder auf freien Fuß gesetzt werden.