■ Neulich ...
: Die elf Gebote zu Bremen

Während die Republik selbst in Erwitte oder Castrop-Rauxel, in ihren vergessensten Zipfeln also, mit den zehn Geboten auskommt, braucht Bremen derer elf, um ein geordnetes Leben zu sichern: „Füll niemals deines Nachbarn Mülltonne“, lautet dieses, und wehe dem, der nicht gehorcht. Auf den kömmt herunter die Stimme des Allmächtigen, der da Blitze wirft, auf daß jeglicher Sünder sofort erkannt werde.

Es war kurz nach Silvester, als der Allerhöchste, genauer, seine irdische Vertretung in Form von Herrn Brollmann, eine brave Bremerin erwischte. Dabei hatte Dora H. nachweislich nichts Arges im Sinn, als sie am späten Abend mit ihrem Berliner Bruderbesuch aufbrach, dessen Autobatterie mit Styropor gegen die Kälte zu schützen. Schnell ward ein Stück des knarzenden Isoliermaterials im eingekellerten Fernsehkarton gefunden, und gutgelaunt begab sich das Geschwisterpaar zum Wohnmobil. Hurtig wurde gesäbelt, bis bröselnde Plastikscheiben die Energiequelle des Wagens rundum sicherten.

Doch was tun mit den Styroporresten? Schließlich wollte man nach vollbrachter Arbeit und entsprechender Erleichterung ein Bierchen trinken. Kein Problem. Es standen genügend Mülltonnen draußen herum, schon seit Tagen völlig losgelöst von ihren schweren Ketten. Gefüllt bis zum Anschlag, umwölkt vom Ärger der BremerInnen ob der nicht stattfinden wollenden Entsorgung. Dennoch entdeckte Dora H. eine Tonne, die ihren weißen Plunder bereitwillig aufnahm.

Kaum aber war der Deckel zugefallen, stand Dora H. im gleißenden Licht eines Bewegungsmelders. Aus, vorbei, erwischt! Würden jetzt Schüsse fallen, Einsatzhundertschaften heranbrausen? Die Täterin schnappte sich ihren verdutzten Bruder und gab Fersengeld. Wenige Sekunden später stand Herr Brollmann neben seiner Tonne und schickte den Fliehenden bitterste Flüche hinterher.

Außer Atem aber in Sicherheit begehrte der Berliner, den Grund der überstürzten Flucht zu erfahren. „Was ist überhaupt passiert?“ Gute Frage! Wissen Sie vielleicht, unter welchen Paragraphen die Beifügung von Restmüll in eine fremde Tonne fällt? Handelt es sich um die Herbeiführung einer sachgefährdenden Überschwemmung (§ 313), um eine gemeingefährliche Vergiftung (§ 324) oder um einer Beleidigung (§263)? Einen räuberischen Angriff auf die Mülltonne läßt das Strafrecht (noch) vermissen. Wenig erstaunlich, denn schließlich klauen die TäterInnenn nichts, sondern fügen etwas hinzu.

Der Bewegungsmelder deutet an, es könnte sich gleichwohl um eine geheimdienstliche Agententätigkeit (§99), mindestens aber um eine landesverräterische Fälschung (§100a) handeln. Scheint die Frage auch strafrechtlich gesehen noch wenig geklärt, moralisch gesehen steht das Recht eindeutig auf Seiten von Herrn Brollmann: Denn das elfte Gebot ist wahrhaftig demokratisch, vor der Mülltonne ist eben jeder gleich.

dah