Wir sind das Volk – ein Blick zurück

■ Zeugnisse des Widerstands: Eine Ausstellung zur DDR im Herbst '89, jetzt in der Unteren Rathaushalle

„Soll Dein Geist nicht rosten, dreh die Antenne auf den Osten“, fordert das Transparent. Dergestalt sollte die Bevölkerung der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) bzw. später der DDR ihre Radiogeräte einstellen, daß der „Hetzsender“ RIAS nicht mehr zu empfangen ist. Ist es schon Widerstand, seinen Geist anders rostfrei halten zu wollen und weiterhin dem Sender aus der amerikanischen Sektor Berlins zu lauschen?

2.900 Protestkundgebungen hat Uwe Schwabe, aktiver Bürgerrechtler aus Leipzig, in seinem Archiv der Bürgerbewegung ausgemacht – allesamt lebensverkürzende Maßnahmen für die Republik mit dem antifaschistischen Anspruch. Mal kleinste Ausbrüche zivilen Ungehorsams im entlegenen Vogtland oder an der „Friedensgrenze“ zu Polen, mal großangelegte Protestmärsche mit Sogwirkung wie die legendären Leipziger Montagsdemonstrationen. Hunderttausende liefen mit.

Zahllose Zeugnisse individuellen Widerstands – Fotos, Plakate, Biographisches, Videosequenzen, Flugblätter – sind durch die Hände Uwe Schwabes und Bernd Lindners von der Projektgruppe Leipzig des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gegangen. Auch das Propaganda-Plakat mit dem RIAS-Boykott ist darunter. Die Dokumente finden sich jetzt wieder in der Ausstellung „Zum Herbst 1989. Demokratische Bewegung in der DDR“, die gestern abend in der Unteren Rathaushalle eröffnet wurde.

Um „exemplarische Ereignisse und die Menschen, die sie getragen haben“ soll es gehen in der Ausstellung. Etwa um die Selbstverbrennung des Pfarrers Oskar Brüsewitz in Zeitz am 18.8.1976 und die Reaktionen der Kirche und der Bevölkerung darauf; oder um den Werdegang von Wolf Biermann, dessen Singen und Wirken ein großzügiger Platz in der Schau reserviert ist.

Diese Aufarbeitung unserer Aktivitäten akzeptieren wir, haben die Leipziger Bürgerrechtler gesagt, als sie die Ausstellung gesehen haben, die – fünf Jahre nach dem Mauerfall – dortselbst eröffnet wurde. Von da kam sie in die Berliner Nikolaikirche, wo 60.000 BesucherInnen – die meisten aus den Neuen Ländern – sich dafür interessierten, was es neben „Duldsamkeit, Anpassung und Untertanengeist“ (Lindner) noch gab in der untergegangenen DDR.

Sogenannten Kojen, dreieckige, mit Stahlrohren verbundene Stellwände strukturieren die Schau; davor öffnen, um Platz und Persprektiven zu schaffen, an Stahlseilen gehängte Objekte eine zweite Ebene. Zeit sollte man schon mitbringen, denn parallel zum Wirken der Exponenten der DDR-Opposition liefert die Ausstellung noch Nachhilfeunterricht in DDR-Geschichte, von der Teilung Berlins bis zum Jahre 5 nach dem Mauerfall.

Die gebotene Materialfülle, die die Untere Rathaushalle zu einem engen Parcours werden läßt, hat Vor- und Nachteile. Wobei die Vorteile überwiegen. Denn wer nur ein Quentchen Interesse hat für die Oppositionsbewegung in der DDR – oder für die DDR als solche – wird an einem der Objekte hängenbleiben: Ach, das war das mit dem 17. Juni 1953, dem Arbeiteraufstand! Die Aktionen liefen gegen die Sprengung der Universitätskirche in Leipzig 1968, weil das Gotteshaus einem „sozialistischen“ Stadtbild zuwiderlief! U.s.f.

Dergestalt sensibilisiert, wird sich das ansonsten eher verhalten für DDR-Themen interessierende Bremer Publikum gut gerüstet möglicherweise auch ins Begleitprogramm stürzen.

Alexander Musik

8.1.-3.2., tägl. 10-18 Uhr, Untere Rathaushalle, Eintritt frei. Zusätzlich u.a.: Dr. Martin Rooney „Die Legende von der antifaschistischen DDR“, Angestelltenkammer, 15.1., 20 Uhr; Podiumsdiskussion mit Freya Klier, Ulrike Poppe, Wolfgang Dehnel, Angelika Barbe, Schütting, 24.1., 19.30 Uhr.