Sanssouci
: Nachschlag

■ Gelungenes Clownspiel

Eine ganz normale Kleinfamilie: Der cholerische Vater poltert herum, wann und wie es ihm paßt. Meist sind seine Kommentare zum Geschehen innerhalb der häuslichen vier Wände eher unqualifiziert. Mutter versucht zu schlichten, ohne ihre Positionen allzu sehr aufzugeben. Huschelig ist sie und ein wenig hysterisch. Eine typische Vorstadthausfrau. Natürlich dreht sich die streithanselige Konversation um den Nachwuchs. Welcher Elternteil an welcher Fehlentwicklung schuld sei und warum – bis hierher stimmen die Küchenkoordinaten. Der Rest ist ganz, ganz anders: Papa hat einen Vogelbauer um den Kopf, aus seinem Frack baumelt ein Schwanz, und als Herz tickt ein Wecker. Mamas Rücken wölbt sich zu einem Buckel. Und beide trampeln in Hanswurstlatschen durch den morgendlichen Familienzwist.

Es ist ein beliebter dramaturgischer Trick, den Kinderalltag auf der Bühne zum Clownspiel zu steigern. Die anarchische Präsenz hilft, unkonventionelle Konfliktlösungen zu entwickeln. Die holländische Autorin Suzanne van Lohuizen geht mit „Wer hat meinen kleinen Jungen gesehen?“ noch ein Stück weiter. Hier sind nur die Umgangsformen an die Realität angelehnt. Ansonsten winken Ionesco und Valentin, wenn Vater Lunter (Sebastian Reusse) und Mutter Kamiel (Arnim Beutel) die abstrusesten Gedankensaltos schlagen. Der einjährige Sohn ist nämlich urplötzlich verschwunden. Hat Mutter ihn beim Einkaufen vergessen, oder ist er gar weggelaufen – ohne Stulle im Ausreißgepäck? Der Ausgangspunkt für denklogische Verstrickungen der allerfeinsten Sorte. Wenn der Kleine am Schluß anruft und mitteilt, daß er baldigst aus dem Mutterbauch in die Welt hinaus geboren zu werden gedenkt, hat die Wirklichkeit längst ausgedient.

Carrousel-Schauspieler Steffen Pietsch siedelt sein Regiedebüt in der Zirkusarena an. Einziges Requisit vor einem mit Glühbirnen umrahmten Samtvorhang ist ein großer, mit Gummi bespannter Kubus. Ein treffliches Slapstickgebilde. Drauf, drin und drumrum turnen die beiden Schauspieler mit sichtlichem Spaß am grotesken Familienspiel. Pietsch beschränkt sich auf die Weltsicht durch die Clownsbrille und hütet sich vor sonstigen surrealen Zutaten. Den komplizierten Gedankenschleifen steht ein einfaches Handlungsgerüst zur Seite. So kommen Kinder ab 8 genauso auf ihre Kosten wie ihre erwachsenen BegleiterInnen. Theater für alle – hier geht dieser vielgeschundene Anspruch ausnahmsweise auf. Voll und ganz. Gerd Hartmann

„Wer hat meinen kleinen Jungen gesehen?“, wieder am 9.–11.1., 10.30 Uhr, Theater carrousel, Parkaue 29, Lichtenberg