Sieg dem Telekom(m)unismus! Von Mathias Bröckers

Als meine Großeltern Ende der 50er Jahre ein Telefon bekamen, rannte ich bei jedem Klingeln begeistert los, während die Oma erst einmal zusammenzuckte. Ihr vierjähriger Enkel entwickelte sich schnell zum perfekten Telefonisten, während sie beim Telefonieren automatisch eine Art „Hab acht“-Haltung einnahm und mit großer Lautstärke in den Hörer brüllte.

Ihr Brüllen hatte nichts mit Schwerhörigkeit zu tun, sondern mit dem Mißtrauen gegenüber dem technisch geschaffenen akustischen Raum des Telefons. Obwohl meine Großmutter schon 20 Jahre lang telefoniert hatte – an das neue Medium Telefon und die Möglichkeit, in diesem virtuellen Schallraum so entspannt zu plaudern wie in Wirklichkeit, konnte sie sich nicht mehr gewöhnen. Ob die stramme Telefonierhaltung von den früher üblichen Wandapparaten herrührte, von einem grundsätzlichen Respekt vor High- Tech oder von einer in zwei Weltkriegen eingebläuten militärisch- zackigen Methode der Nachrichtenübermittlung, kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls hätte ein Handy im Bett oder gar im Badezimmer dieser Generation (geb. 1890) glatt die Sprache verschlagen (nicht nur, weil die „Hab-acht“- Stellung auf der Toilette im Wortsinn in die Hose gegangen wäre), und ein Anrufbeantworter am anderen Ende der Leitung wäre ihr als gespentische Geistererscheinung vorgekommen.

Heute sind derlei Schwierigkeiten im Umgang mit dem Medium kaum noch vorstellbar, und doch ist das tiefe Unbehagen an der Tele-Kultur erst wenige Jahrzehnte her. Auch beim Fernsehen nahmen die Großeltern auf dem Sofa Haltung an, wenn der „Apparat“ eingeschaltet wurde, während ich mich vor der Kiste lümmelte.

Seit der jüngsten Gebührenerhöhung der Telekom ist Omas k. u. k. Telegrammstil am Telefon auch für die nachfolgenden Generationen wieder up to date: „Wir können nicht so lange quatschen, es kostet ja jetzt“, meinte meine Mutter beim sonntäglichen Anruf, was einerseits natürlich stimmt, andererseits aber ist das Telefonieren eines der wenigen Dinge, das seit Großmutters Zeiten ständig billiger wurde – und dennoch heute mindestens um den Faktor 100, manche sagen sogar 1000, überteuert ist. Einer Telefonrechnung von 100 Mark stehen reale Kosten von 10 Pfennig bis maximal 1 Mark gegenüber. Insofern ist das aktuelle Gejammer über die erhöhten Tarife völlig absurd. Was vielmehr zur Debatte stehen müßte, ist eine freie Grundversorgung der Bevölkerung mit Telefonzeit – schließlich war sie es, die jahrzehntelang mit ihren Steuern die gigantische Investition für den Aufbau des Netzes bezahlt hat. Doch jetzt, wo es hochprofitabel arbeitet und wo rechtzeitig zum 21. Jahrhundert, in dem Telefonieren so notwending und selbstverständlich wird wie Essen und Trinken, locker 200 Freieinheiten pro Anschluß drin wären und der Telekom(m)unismus quasi perfekt – ausgerechnet jetzt wird das ganze System verhökert.

Auf daß die gigantischen Profite künftig nicht mehr der Allgemeinheit, sondern privaten Wegelagerern an jedem Knotenpunkt der Datenautobahn zugute kommen! Politiker, die diese Ausplünderung von Gemeineigentum als „Zukunftssicherung“ verkaufen, gehörten eigentlichlich mit dem nächsten Telefonkabel erwürgt.