Erfolg der alten Garde

Die deutschen Volleyballerinnen qualifizierten sich überraschend für Olympia, doch Atlanta könnte für lange Zeit der letzte Höhepunkt sein  ■ Aus Bremen Joachim Fahrun

Sie haben sich noch einmal durchgebissen, die deutschen Volleyball-Frauen. Nach dem blamablen Abschneiden beim letztjährigen Weltcup, als alle zwölf Partien verlorengingen und Lagerkoller und Frust im deutschen Team regierten, hätte wohl kaum jemand einen Pfifferling auf die Olympia- teilnahme gewettet. Doch rechtzeitig zum Bremer Qualifikationsturnier hatte Bundestrainer Siegfried Köhler seine bewährten Elevinnen aus alten DDR-Tagen wieder für das Nationalteam mobilisiert. Diese sicherten sich mit dem überraschenden 3:2-Sieg gegen die Russinnen im Finale die Reise nach Atlanta.

Immer wieder hatten die Spielerinnen ihren eisernen Willen beschworen. „Wir wollen nach Atlanta“, erklärte Zuspielerin Ines Pianka (VC Schwerte) stellvertretend für alle in sämtlichen Pressekonferenzen. Atlanta schweißte die Zweckgemeinschaft aus zwölf erfahrenen Akteurinnen auf dem Gummiboden der Bremer Stadthalle zu einem Team zusammen. Das olympische Turnier dürfte für Spielerinnen wie Nancy Celis, Grit Naumann (beide 29) oder Ute Steppin (31) die letzte Chance sein, auf internationalem Parkett Lorbeeren zu gewinnen. Und auch Susanne Lahme, Ines Pianka, Christina Schultz oder Constanze Radfan zählen schon zu den reiferen Semestern im Volleyball-Zirkus.

Neben der besseren Vorbereitung der deutschen Frauen, die seit dem 18. Dezember im Trainingslager zusammengezogen waren, gaben Kampfgeist und Erfahrung des deutschen Teams den Ausschlag für den kaum erhofften Erfolg gegen die besten Volleyballmannschaften Europas. In der Vorrunde waren die jungen Europameisterinnen aus den Niederlanden ohne Chance. Die Talente aus Kroatien verloren im ersten und zweiten Satz bei deutlicher Führung die Nerven gegen eine nach verschlafenem Start furios aufspielende deutsche Sechs. Im bedeutungslosen Vorrunden-Match gegen Rußland ließ Trainer Köhler wie Kicker-Coach Sepp Herberger anno 1954 gegen die später im Finale bezwungenen Ungarn den zweiten Anzug ran und kassierte folgerichtig eine klare 0:3-Niederlage. Dabei wurde deutlich, daß nur die erste Sechs auf höchstem Niveau mithalten kann.

Das Bremer Turnier sei ein echter Härtetest für das Stehvermögen seines Teams gewesen, sagte Köhler. Vier schwere Spiele in vier Tagen, der Terminplan in Atlanta wird längere Regenerationsphasen zulassen. Für Olympia ist durchaus noch eine Steigerung möglich. Angabefehler gleich im Dutzend wie gegen Rußland im Finale wird man sich gegen Chinesinnen, Brasilianerinnen oder Kubanerinnen nicht leisten können. Doch was Köhler in Bremen sagte, gilt auch in Atlanta: „Wenn wir unsere beste Leistung bringen, haben wir eine Chance“.

Glück für die deutschen Frauen, daß Rußland im Finale ebenso nervös spielte wie die Auswahl des Deutschen Volleyball-Verbandes (DVV), und sogar noch mehr Fehler produzierte. Chefcoach Nikolai Karpol beklagte wiederholt die mangelnde Vorbereitung seines Teams. Doch für den griesgrämigen Russen sind wie für den Sachsen Köhler die realsozialistischen Zeiten vorbei, als die Nationalteams für ein halbes Jahr kaserniert werden konnten. Sechs von Karpols Spielerinnen verdienen als Profis Geld in Japan, zwei mußten von ihren Clubteams aus der Türkei und zwei aus Spanien losgeeist werden. Im Mai in Japan haben die Spielerinnen um das Volleyball-Denkmal Valentina Ogienko (520 Länderspiele für Sowjetunion und Rußland) nun ihre letzte Chance, sich doch noch für Olympia zu qualifizieren.

Für den deutschen Frauen-Volleyball könnte Atlanta zum vorläufig letzten Höhepunkt werden. Von der ersten Sechs verspricht nur die 23jährige Schwerinerin Sylvia Roll eine mittelfristige Perspektive. Die zweite Zuspielerin Tanja Hart (22) vom DJK Karbach konnte sich zwar im zweiten Satz gegen Kroatien einige Male gut in Szene setzen, eine Ines Pianka wird sie aber so schnell nicht ersetzen können. Und ob die „Alten“ sich dafür hergeben, ohne Aussicht auf internationale Erfolge als Korsettstangen die Nachwuchskräfte aufzurichten, ist keinesfalls sicher.

Die jungen Spielerinnen anderer Nationen sind jedenfalls weiter als die Deutschen. Die schlagkräftige, 1,90 Meter große russische Hauptangreiferin Ewgenja Artamonowa zählt gerade 21 Lenze, Zuspielerin Tatjana Gratschewa ist 23. Auch im kroatischen Team steht mit der 18jährigen Angreiferin Barbara Jelic ein Talent, wie es im deutschen Volleyball derzeit nirgends in Sicht ist. So kann DVV-Präsidentin Steffie Schnoor nur hoffen, daß Erfolge in Atlanta einen neuen Schub für ihren Sport auslösen und auch die leidige Suche nach Sponsoren erleichtert wird. Doch selbst wenn dieser fromme Wunsch einträfe und die alte DDR-Volleyballschule in Atlanta ihre letzte Blüte erlebte, ist kaum anzunehmen, daß sich die in Bremen aufgeblitzte Volleyballbegeisterung vor der Jahrtausendwende im Nationalteam widerspiegeln wird.