■ In der Kritik
: Türkische Gemeinde in Deutschland

Anlaß zur Gründung der Türkischen Gemeinde in Deutschland waren die schrecklichen Ereignisse in Mölln und Solingen. Nach diesen beiden rassistischen Überfällen, bei denen insgesamt acht Menschen ihr Leben verloren, kamen die türkischen Initiatoren zu der Überzeugung, daß sie mit einer bundesweiten Organisation größeres Mitspracherecht in der Bevölkerung erlangen und ihre Ziele leichter verwirklichen können. Als Vorbild diente der Zentralrat der Juden in Deutschland. Allerdings können bei der Türkischen Gemeinde ausschließlich Vereine und Verbände Mitglied werden.

In Zukunft will man politische und religiöse Überzeugungen beiseite lassen und zur Durchsetzung gemeinsamer Interessen zusammenarbeiten. So können alle türkischen Einrichtungen, die sich zum freiheitlichen, pluralistischen Rechtsstaat bekennen und Gewalt als politisches Mittel ablehnen, der neuen Organisation beitreten. Mit diesem Zusammenschluß will die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) die Interessen der türkischen Minderheit auf Bundesebene vertreten und als Ansprechpartner für Parlament, Parteien und Öffentlichkeit fungieren. Man hofft natürlich auch, größeren Einfluß auf die Bundesregierung ausüben zu können.

Das Hauptanliegen der neuen Vereinigung ist die rechtliche und politische Gleichstellung der Migranten in Deutschland. Ferner will die Gemeinde ausländerfeindliche und rassistische Tendenzen bekämpfen und sich für ein Antidiskriminierungsgesetz einsetzen. Diese Forderungen werden inzwischen von verschiedenen Parteien befürwortet. So war es kein Wunder, daß beim Gründungskongreß Anfang Dezember in Hamburg auch viele hochkarätige deutsche Politiker anwesend waren. Viele CDU- und Grünen-Abgeordnete sagten der Türkischen Gemeinde in Deutschland ihre Unterstützung zu.

Inzwischen gibt es aber auch kritische Stimmen. Der türkischstämmige Cem Özdemir, Abgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen begrüßt zwar die Gründung der Türkischen Gemeinde in Deutschland, macht aber deutlich, daß kein Verein den Alleinvertretungsanspruch für die hier lebenden Türken erheben könne. Ferner haben sich viele türkische Organisationen wie die Föderation der Sozialdemokratischen Volksvereine (HDF) und der Rat der Türkischen Staatsbürger in Deutschland (RTS) von der Gemeinde distanziert. Sie werfen ihr vor, die türkische Gesellschaft in Deutschland zu spalten und die Interessen der türkischen Regierung zu vertreten.

Diese Kritiken aber lassen den frischgekürten TGD-Vorsitzenden Hakki Keskin ziemlich kalt. „Wir wollen uns für gemeinsame Belange stark machen und eine Art Sprachrohr der türkischen Minderheit werden“, sagt der Hamburger Hochschullehrer und SPD-Bürgerschaftsabgeordnete. Ihre Forderungen würden allen zugute kommen, deshalb sei er zuversichtlich, daß die Gemeinde bald „von weitesten Teilen der türkischen Bevölkerung in Deutschland“ unterstützt werde.

Unterdessen brach ein weiterer Streit wegen des Namens der neuen Organisation aus. Die Türkische Gemeinde zu Berlin, die der TGD nicht angehört, macht darauf aufmerksam, daß ihr Name geschützt sei und droht mit einer gerichtlichen Klage, falls man sich nicht bald einen anderen Namen einfallen läßt.Ayhan Bakirdögen