„Deutsch-türkische Dialoge“

■ Im interkulturellen Zusammenleben pflegen Deutsche und Türken verbissen den Garten der Vorurteile. Eine Veranstaltungsreihe will helfen, den Blick zu weiten und Denkblockaden abzubauen

Im Zusammenleben und der wechselseitigen Wahrnehmung von Deutschen und Türken gibt es Probleme. Verbissen wird der Garten der Vorurteile gepflegt. Wenig bewegt sich deshalb im deutsch- türkischen Austausch. „Alles, was in Deutschland als Einwanderungsland mißlingt, wird von vielen Gruppen verkürzt auf die institutionelle und alltägliche Diskriminierung seitens der deutschen Gesellschaft gegenüber Migranten zurückgeführt“, so Tatiana Lima Curvello vom Verband binationaler Ehen und Partnerschaften.

Gemeinsam mit weiteren Projekten des „Nachbarschaftshaus für interkulturelle Begegnung“ in Berlin richtet sie mit den „deutsch- türkischen Dialogen“ den Blick einmal in eine andere Richtung, auf bislang häufig Vernachlässigtes. Wenn alles nur noch auf Rassismus und Diskriminierung zurückgeführt werde, so die Leitlinie der Reihe, würden weder die Vielfältigkeit noch die Gestaltungsräume, die Einwanderer in diesem Land haben, wahrgenommen. Die Folge der Denkfaulheit und -blockaden sind eine Entmündigung der nachwachsenden Generation und die Ethnisierung von Kontroversen zwischen Individuen und Gruppen.

Das Dilemma der aktuellen Debatte um das interkulturelle Zusammenleben verdeutlicht zum Beispiel der opportunistische Umgang mit Statistiken:

Beispiel Ausländerkriminalität: Inzwischen weiß jeder Schüler der Oberstufe, daß entgegen den Aussagen der polizeilichen Kriminalstatistik Einwanderer nicht krimineller sind als die Deutschen. Aufgeklärte Kriminologen haben ganze Arbeit geleistet. Berücksichtigen wir Sozialstruktur, Bildung, Wohnort, Geschlechterverhältnis und so weiter, dann, so das von ihnen präsentierte Ergebnis, seien sich Deutsche und Nichtdeutsche in ihrem Kriminalitätsverhalten recht ähnlich. Rechten Demagogen ist der Wind aus den Segeln genommen.

Beispiel Arbeitsmarktstatistik: Türken sind in der Bundesrepublik doppelt so häufig von Arbeitslosigkeit betroffen wie Deutsche. Lobbyisten greifen die Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit auf und in die Debatte ein: Das sei eine nicht hinzunehmende Diskriminierung einer Minderheit, schlußfolgern sie aus dem Datenmaterial. Nichts bleibt mehr übrig vom scharfen analytischen Verstand, der sich soeben, im Fall der Kriminalitätsbelastung, doch so bewährt hat. Plötzlich wird entlang der an anderer Stelle verworfenen ethnischen oder kulturalistischen Denkmuster argumentiert. Warum hat die Einwandererlobby noch keine Arbeitsmarktstatistik nach Bildungsabschlüssen, Wohnort (Stadt/Land), Geschlechterverhältnis und Sozialstruktur erstellt? Hat sie Angst vor einem möglichen Ergebnis, das verdeutlicht, daß bestimmte Schichten, unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft, ähnlich von sozialen Miseren heimgesucht werden?

In vier weiteren Veranstaltungen geht es bis zum 15. April nicht zuletzt um Sinn und Unsinn kulturalistischer Deutungsmuster gesellschaftlicher Probleme:

Montag, 15. Januar, 19.30 Uhr: Zusammenleben im Alltag – Lust und Unlust an kultureller Verführung. Es diskutieren: Emine Demirbüken (Ausländerbeauftragte in Schöneberg), Kemal Kurt (Autor), Tatiana Lima Curvello (Soziologin), Michael Rutschky (Publizist), Feridun B. Zaimoglu, Moderation: Thomas Hartmann (Journalist)

Montag, 19. Februar, 19.30 Uhr: Erfolgsbarrieren im Bildungsbereich – Konflikte zwischen den Sehnsüchten der Eltern und den Perspektiven der Schüler?

Montag, 11. März, 19.30 Uhr: Politische und kulturelle Integration als Zielvorstellung – Erfahrungen, Hemmnisse und neue Strategien.

Montag, 15. April, 19.30 Uhr: Zwischen Selbstverständlichkeit und Abschottung – Deutsche und türkische Jugendliche im Gespräch.

Veranstaltungsort: Alle „Deutsch-türkischen Dialoge“ finden statt im Familiengarten, Oranienstr. 34, 10999 Berlin.

Eberhard Seidel-Pielen