Zwei Kölner in Ankara

■ Die „Vereinigung der Nationalen Sicht“ mit Sitz in Köln schickte drei ihrer höchsten Funktionäre ins Wahlrennen. Zwei von ihnen werden demnächst in Ankara für islamistische Ideale eintreten

Zwei Kölner werden bald im türkischen Parlament die Interessen ihrer Landsleute in Istanbul und Konya vertreten. Zwei Männer, die sich in Deutschland durch ihre Arbeit in der „Vereinigung der Nationalen Sicht“ („Milli Görüs“–AMGT) verdient gemacht haben: Osman Yumakogullari, der langjährige Vorsitzende der AMGT, wurde am Bosporus, sein Stellvertreter Abdullah Gencer im mittelanatolischen Konya gewählt – seit Jahren die Hochburg der Islamisten. Der dritte Kandidat, Ali Yüksel – er ließ sich vor zwei Jahren in der Soester Stadthalle zum „Scheich-ul-Islam“ der Muslime in Deutschland küren – hatte in Antalya Pech: Trotz des ebenfalls sehr aussichtsreichen Listenplatzes reichten die Stimmen für die „Wohlfahrtspartei“ (Refah) in Antalya nicht aus.

Die Wahl der AMGT-Funktionäre zu Refah-Abgeordneten in der Türkei ist ein weiterer Beweis für die enge organisatorische Bindung der Föderation an die islamistische Bewegung im Heimatland. Sowohl hier wie dort halten sich die Refah-Anhänger jedoch strikt an die Regeln der Demokratie, so daß man ihnen den Kampf für ihre parteipolitischen Ziele kaum zum Vorwurf machen kann. Ihre Strategie, mit einem „langen Marsch durch die Institutionen“ an die Macht zu kommen, wird von gänzlich anderer Seite kritisiert: Radikalere islamistische Kreise wie beispielsweise die Anhänger des verstorbenen „Khomeini aus Köln“, Cemalettin Kaplan, werfen Erbakan „Götzenanbeterei“ vor. In ihren Augen ist jede Beteiligung an „diesem Teufelssystem“ Verrat an der islamischen Sache.

Radikale Islamisten, die Parteigründungen und Wahlbeteiligungen für unzulässig erklären, bekamen durch den Putsch der algerischen Militärs gegen die Wahlsiegerin FIS und zuletzt durch den Ausschluß der Muslimbrüder in Ägypten von den Wahlen großen Auftrieb. Das türkische Beispiel gibt wieder Hoffnung auf eine friedliche Einbindung der Islamisten in das bestehende System.

Der zum Istanbul-Abgeordneten gewählte Yumakogullari gehört zu den Gründern der AMGT in Deutschland und war lange Jahre Herausgeber der Refah- Publikation Milli Gazete (Nationale Zeitung). Er studierte Theologie und Jura. Auch die anderen Partei- und Vereinskader treten durch abgeschlossene Studien hervor – meist in Jura, Ingenieurswesen oder Naturwissenschaften.

Das Bild des Islamisten als vollbärtigem, fanatischem Analphabeten ist seit Jahren überholt. Die Refah ist die modernste der türkischen Parteien: Bis in die kleinsten Büros mit schnellen Computern und Datennetzen ausgestattet, verfügt sie über eine hochentwickelte Infrastruktur. Ihre Aktivisten – alle besitzen die „Waffe des Glaubens“ – beginnen den nächsten Wahlkampf, wenn die Stimmen dieser Wahl ausgezählt sind.

Die AMGT, vom Verfassungsschutz 1993 als Extremistenorganisation bezeichnet, die sich um ein moderates Erscheinungsbild bemüht, hat nach eigenen Angaben an die 20.000 Mitglieder und eine über 100.000 Köpfe starke Gemeinde in Deutschland. Von Schlachtereien bis zu Bestattungsunternehmen hat sie sich nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in ganz Europa, sogar in den USA und in Australien eine florierende wirtschaftliche Basis geschaffen.

Sind sie demokratische Kämpfer in ihrer eigenen Sache oder „Wölfe im Schafspelz, die, sobald sie an die Macht kommen, die Demokratie abschaffen und den tyrannischen Gottesstaat errichten“ wollen? Die Antwort auf diese Frage bleibt reine Spekulation. „Unter unserer Verwaltung wird niemand wegen seines Lebensstils angegriffen oder verfolgt“, erklärten die Refah-Kandidaten im Vorfeld der Wahlen. „Atatürk würde auch der Refah beitreten, wenn er lebte“, sagte der Parteiführer Erbakan, „denn wir sind die einzige Partei, die eine unabhängige und gerechte Türkei errichten will.“ Vor den Wahlen wurden sie als Schreckgespenst an die Wand gemalt, nun mehren sich in der türkischen Öffentlichkeit die Stimmen, Refah die Regierungsverantwortung zu überlassen: Denn erst dann werden alle sehen, was es mit der angeblichen gerechten Ordnung auf sich hat. Der Glaube mag zwar Berge versetzen, aber ob er imstande ist, den Schuldenberg der Türkei abzubauen, ist fraglich. Dilek Zaptçioglu