Die längste Luftbrücke der Geschichte rettete Tausende von Menschenleben

■ 160.000 Tonnen wurden eingeflogen. Sarajevo war dennoch konstant unterversorgt. Heute fliegt die letzte Maschine

Berlin (taz) – Mit einer offiziellen Zeremonie und einem symbolischen letzten Flug wird heute die internationale Luftbrücke zur Versorgung der bosnischen Hauptstadt Sarajevo eingestellt. Für dreieinhalb Jahre – seit dem 3. Juli 1992 – war die Luftbrücke zeitweise die einzige Möglichkeit, die rund 400.000 Einwohner Sarajevos mit Lebensmitteln und Hilfsgütern zu versorgen. Insgesamt beteiligten sich Flugzeuge aus 20 Ländern an der „Operation Sara“. Bei rund 13.000 Einsätzen wurden 160.000 Tonnen Güter eingeflogen: vorwiegend Lebensmittel und Medikamente, später auch Heizungsrohre, Folien zum Abkleben der Fenster oder Babywindeln. Dabei wurden auf den Rückflügen auch insgesamt 1.100 Verletzte und 1.400 Angehörige evakuiert. Auch für Politiker und Journalisten waren die Transportmaschinen vielfach die einzige Möglichkeit, nach Sarajevo zu gelangen.

Den größten Anteil an diesem Versorgungsunternehmen haben die USA geleistet: Rund 4.600mal setzten amerikanische Transportflugzeuge zur Landung auf dem Flughafen der eingeschlossenen Stadt an, 2.100 Einsätze flogen die Franzosen und 1.900 die Briten. Nach Kanada gehört Deutschland mit exakt 1.412 Einsätze zu den fünf Ländern, die die meisten Hilfsflüge vom italienischen Luftwaffenstützpunkt Ancona-Falconara aus unternommen haben. Die Deutschen haben sich schon vor ein paar Tagen relativ unspektakulär von dem Luftbrücken-Unternehmen verabschiedet. Eine Transall-Maschine des Lufttransportgeschwaders 62 in Wunstorf bei Hannover landete am vergangenen Donnerstag zum letzten Mal auf dem Flughafen Sarajevo, entlud ihre Ladung – neben Mehl und Heizöfen gab es auch einen Kasten Bier für die Bodencrew – und verschwand nach 20 Minuten wieder.

Die Versorgung von Sarajevo gilt als die „längste Luftbrücke der Geschichte“. Tatsächlich kann sie nur mit einem einzigen historischen Ereignis verglichen werden: mit der Luftbrücke der Alliierten zur Zeit der Berlin-Blockade 1948/49. Damals wurde innerhalb von 462 Tagen bei 277.728 Einsätzen mit 2,3 Millionen Tonnen Gütern allerdings ein Vielfaches der Transportleistung von Sarajevo geflogen. Im Gegensatz zur Berliner Luftbrücke war die nach Sarajevo jedoch mit viel größeren militärischen Risiken belastet: Mehr als 270 Zwischenfälle wurden in den dreieinhalb Jahren gemeldet. Trauriger Höhepunkt war im September 1992 der Abschuß eines italienischen Flugzeugs durch eine Boden-Luft-Rakete, bei dem die vierköpfige Besatzung umkam. Vor knapp zwei Jahren geriet auch eine deutsche Maschine unter Beschuß. Ein Lademeister wurde schwer verletzt.

Angesichts dieser Gefahren mußten die Luftbesatzungen immer wieder einen abenteuerlichen und gefahrvollen Landeanflug auf die bosnische Hauptstadt wagen. Bis kurz vor dem Schluß blieben die Maschinen über der schützenden Wolkendecke, ehe sie mit leerlaufenden Triebwerken zu einem kurvigen Sturzflug auf die Landebahn ansetzten. Trotz des Engagements und der Risiken blieb die Luftversorgung nicht von Kritik verschont. Zeitweise war die Luftbrücke sogar bis zu fünf Monaten unterbrochen, die notwendigen 6.000 Tonnen Hilfsgüter pro Monat seien ohnehin nie erreicht worden, sagen Kritiker. Zudem sei die Statistik geschönt worden. So wurden Hilfsgüter befördert, die zwar leicht zu entladen waren, für die es in Sarajevo keinen Bedarf gab. Auch seien große Gütermengen von bosnischen Serben als Garantie für den Transit vom Flughafen in die Stadt beschlagnahmt worden.

Organisiert wurde die Luftbrücke vom UNHCR. In dessen Genfer Büro leiteten vier Offiziere aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland die Aktion, mit ein paar Computern, Telefonen, Faxgeräten und rund 20 Mitarbeitern. Auch in Zukunft soll dieses Büro erhalten bleiben, um in ähnlichen Situationen tätig zu werden. Seitdem Sarajevo wieder auf dem Landweg versorgt werden kann, ist die Luftbrücke zu teuer geworden. Marc Engels