Ein Relikt des Kalten Krieges?

Für Entwicklungshilfe stehen real immer weniger Mittel zur Verfügung. Die langfristige Arbeit wird von der Katastrophenhilfe verdrängt  ■ Aus Bonn Uwe Kerkow

Der Haushalt 1996 macht wieder einmal deutlich, daß das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) in der Wertschätzung der Finanzexperten weit unten rangiert. Mit einem Federstrich wurden bei der Verabschiedung des Haushalts die Ausgaben für das Ministerium jedoch um gut 1 Prozent zurückgefahren (s. Kasten). Der Etat wächst daher dieses Jahr nur um 0,5 Prozent – deutlich weniger als die Inflationsrate. Das Haus von Carl Dieter Spranger (CSU) stellt dies bei einem schrumpfenden Gesamthaushalt zwar als Erfolg dar. Aber ist das Ressort heute wirklich mehr als ein Relikt des Kalten Krieges?

Die Aufgaben des Hauses wachsen durchaus, denn seit 1990 sind eine Reihe neuer Empfängerländer hinzugekommen, so die zentralasiatischen und kaukasischen Republiken sowie Albanien. Auch Südafrika und die palästinensischen Gebiete sind neue Partner der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Dazu kommen nun Hilfen für den Wiederaufbau Bosniens, von denen 78 Millionen Mark aus dem Etat des BMZ gezahlt werden sollen.

Bedeutet dies einerseits eine gewisse Aufwertung des Spranger- Ministeriums, so werden auf der anderen Seite dadurch die Mittel für die „klassischen“ Empfängerländer vermindert – und das bei einem stagnierenden Budget für Entwicklungshilfe. Die Unterstützung für die anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion und die mittel- und osteuropäischen Staaten, für die die Bundesrepublik in den Jahren 1991 bis 1993 8,4 Milliarden Mark aufbrachte, wurde hingegen nicht aus dem Haushalt des BMZ bestritten. Die Befürchtung, daß die Hilfe für den Osten auf Kosten des Südens gehen würde, erwies sich also nur teilweise als begründet.

Viel mehr Mittel werden aus der langfristigen Entwicklungsarbeit abgezogen durch das rapide Wachstum der humanitären Hilfe. Nahm sie 1989 nur 0,7 Prozent der Mittel des BMZ in Anspruch, sind es seit 1992 etwa 10 Prozent, Tendenz steigend. Dies trifft regierungsunabhängige Organisationen (NGOs), die auf Spenden angewiesen sind, noch härter als die staatliche Entwicklungszusammenarbeit. „Nachdem wir uns entschieden hatten, uns an den Aktionen in Ruanda nicht zu beteiligen, ging unser Spendenaufkommen stark zurück“, erinnert sich beispielsweise Ulrich Post von der Deutschen Welthungerhilfe. „Langfristige Arbeit läßt sich eben schlecht sichtbar machen, während humanitäre Aktionen dankbare Motive für die auf Bilder angewiesenen Massenmedien bieten.“

Die Konkurrenz um öffentliche Gelder und private Spenden führt dazu, daß kurzfristige Hilfe mit hoher Medienwirksamkeit den Großteil der Mittel für Katastrophenhilfe verschlingt. Das meiste Geld floß seit 1990 in die Golfregion, nach Somalia, nach Ruanda und in das ehemalige Jugoslawien. Andere Katastrophengebiete wie Liberia, der Sudan, Afghanistan und Kambodscha blieben dagegen weitgehend unbeachtet.

Katastrophenhilfe, so notwendig sie ist, bleibt jedoch Feuerwehrpolitik. Ganz oben auf der Prioritätenliste der deutschen Entwicklungszusammenarbeit stehen dagegen langfristige Ziele: „der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, der Abbau von Fluchtursachen, die Prävention und Bewältigung von Krisen, die Förderung dauerhafter Gesellschafts- und Sozialreformen, die Minderung von Armut und Bevölkerungswachstum in den Entwicklungsländern“. So steht es im Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung, den das Kabinett im Dezember verabschiedete.

Eine Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats des BMZ schlägt nun eine stärkere Diversifizierung beim Mitteleinsatz vor: Ein Teil der öffentlichen Gelder soll vornehmlich in Form von Zuschüssen, zum Beispiel Nahrungsmittelhilfe, an Armutsländer geben. Dabei würde bewußt der Anspruch aufgegeben, mit diesen Spenden Entwicklung zu fördern. Der zweite Teil der Hilfe soll vor allem in Form von Darlehen an Schwellenländer oder Länder mit mittlerem Einkommen gehen. Dieser Teil der Entwicklungshilfe wäre als Politik „ohne schlechtes Gewissen“ vor allem ökonomischen Interessen unterzuordnen, also der Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen auf ausländischen Märkten. – Die Weltbank schätzt, daß zur Jahrtausendwende wohl 90 Prozent der Menschen Zugang zum Weltmarkt haben werden, während es 1980 gerade 30 bis 40 Prozent waren. Im Arbeitsprogramm des BMZ heißt es dazu: „Gerade in dynamischen Schwellenländern eröffnet die entwicklungspolitische Zusammenarbeit Chancen für die deutsche Wirtschaft.“

Im Etat für nächstes Jahr sind z.B. 100 Millionen Mark vorgesehen, um armen Ländern die Möglichkeit zu geben, auf der Expo 2000 in Hannover auszustellen. Man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, daß ein Großteil der Gelder an deutsche Messe-Dienstleister geht und nicht den Armen, den Analphabeten oder der Umwelt des Südens zugute kommt.

Nach Angaben der Deutschen Welthungerhilfe und terre des hommes sind 36,6 Prozent der gesamten deutschen Entwicklungshilfe direkt an Einkäufe von Waren und Dienstleistungen aus Deutschland gebunden. Damit steht Deutschland zwischen Ländern wie den USA oder Japan, die sicherheitspolitische beziehungsweise wirtschaftliche Zielsetzungen verfolgen, und solchen wie den Niederlanden oder Schweden, für die die Interessen der Empfänger im Mittelpunkt stehen.

Zugleich zeigt sich das Spranger-Ministerium unzufrieden mit der Höhe der Beiträge für multilaterale Organisationen. Die bisher 35 Prozent des BMZ-Haushaltes sind den Verantwortlichen zuviel, und sie möchten ihn auf 30 Prozent herunterfahren. Der Verdacht liegt nahe, daß deutsche Unternehmen zuwenig Aufträge aus den internationalen Töpfen erhalten und das Ministerium die Vergabe der Mittel lieber direkt kontrollieren möchte.

Die Memorandumgruppe Nord-Süd hält diesem offiziellen Ansatz ihr Leitbild einer „internationalen Strukturpolitik“ entgegen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, daß den wachsenden globalen Risiken wie Umweltzerstörung, Massenarmut, bewaffnete Konflikte, Migration und ruinöse Standortkonkurrenz nur in internationaler Zusammenarbeit begegnet werden kann. Dabei müsse der Schwerpunkt auf Konfliktvorbeugung und langfristiger Ursachenbekämpfung liegen.

Schon jetzt setzen zahlreiche staatsnähere NGOs darauf, mit der Formel „Entwicklungshilfe ist Friedens- und Überlebenssicherung“ dem BMZ den Rücken zu stärken und so zu erreichen, daß künftig mehr Mittel für die staatliche Entwicklungshilfe zur Verfügung stehen. Eine ganze Reihe von Aufgaben könnten eben nur schwer von NGOs aus Spendengeldern bestritten werden, begründet das Germanwatch-Mitarbeiter Wardenbach, so zum Beispiel im Bildungsbereich oder bei der Armutsbekämpfung. Weder die NGOs noch die Politiker sind sich einig darüber, ob nun das BMZ aufgewertet werden sollte und neben der Diplomatie und der Sicherheitspolitik als drittes Standbein der auswärtigen Beziehungen dienen sollte.

Das Duisburger Institut für Entwicklung und Frieden unter der Leitung von Professor Franz Nuscheler und das Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie propagieren in diesem Zusammenhang eine „Entwicklungsverträglichkeitsprüfung“, die bei allen wichtigen Vorhaben in der Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik durchgeführt werden soll.