„Bestimmte Programme sperren“

■ Der Sprecher des Oberlandesgerichts München, Wolfgang Kellner, zum Erkenntnisinteresse der Staatsanwaltschaft im Fall CompuServe

Vor der Firmenniederlassung in Kalifornien verschütten Demonstranten aus Protest deutsches Bier, der Schwulenverband in Deutschland (SVD) spricht von „Selbstzenzur“: Der Online-Anbieter CompuServe gerät zunehmend unter Druck, seit er den Zugang zu etwa 200 Newsgroups sperrte, in denen die Münchner Staatsanwaltschaft kinderpornographische Darstellungen ausmachte. Nun will CompuServe die Zugänge wieder öffnen, allerdings nicht für seine deutschen Kunden. Dabei ist nach wie vor zweifelhaft, daß die Firma sich überhaupt strafbar gemacht hat.

taz: CompuServe hat den Zugang zu den Diskussionsgruppen, in denen Kinderpornographie verbreitet wird, gesperrt. Damit hat sich doch das Ermittlungsverfahren eigentlich erledigt.

Wolfgang Kellner: Die Sperrung ist nicht auf Weisung der Staatsanwaltschaft erfolgt. Die Firma CompuServe hat sie freiwillig vorgenommen, nachdem ihr mehrere Gruppen genannt wurden, in denen Kinderpornographie verbreitet wird. Das Ermittlungsverfahren ist damit noch nicht erledigt. Es muß geprüft werden, ob der Firma CompuServe ein Verschulden angelastet werden kann. Es kann sein, das sie nicht wußten, daß Zugänge zu kinderpornographischen Darstellungen bestanden oder keine Möglichkeit hatten, das zu unterbinden.

Wie läßt sich ein solches Verschulden überhaupt nachweisen?

Wenn man feststellt, daß sie bewußt solche Darstellungen in ihr Netz aufgenommen und die Weiterleitung zugelassen haben. Die technischen Einwirkungsmöglichkeiten der Firma CompuServe auf den durch sie vermittelten Datenbestand des Internet soll ein von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenes Gutachten klären.

Ich habe gerade über das Internet einen Text zur sogenannten Auschwitzlüge auf den Bildschirm geholt. Muß die taz jetzt auch mit einem Ermittlungsverfahren rechnen, weil sie mir diese Möglichkeit eröffnet hat?

Nein, denn es kommt nicht auf denjenigen an, der abruft, sondern auf den, der erzeugt. Für die Verbreitung sorgt ja derjenige, der eine Sache eingibt ...

Die Firma CompuServe gibt auch keine Sachen ins Internet ein.

Das ist die komplizierte wie juristisch entscheidende Frage, ob sie in einem strafbaren Sinne an der Verbreitung beteiligt ist.

Kann man einem Online-Anbieter überhaupt einen Vorsatz unterstellen?

Das versucht die Staatsanwaltschaft herauszubekommen.

Als das gesetzliche Verbot der Verbreitung von Kinderpornographie formuliert wurde, ging man noch von einer Person aus, die die Pornos vom Hersteller zum Nutzer befördert. Läßt sich dieser Grundgedanke auf anonyme Datennetze wie das Internet anwenden?

Auch das muß geprüft werden. Ich gehe schon davon aus,daß es, wie beim Fernsehen, die Möglichkeit gibt, bestimmte Programme zu sperren. Interview: Dieter Rulff

Siehe Hintergrund Seite 13