Auch ohne Autos dicke Luft

■ „Friedhofsruhe“ – noch nie war 's im Viertel so ruhig und die Stimmung so mies

„An langen Samstagen die Kasse zu zählen, lohnt nicht. Die zwei Kunden kann ich auch so überblicken.“ So lautet die düstere Prognose, die eine Geschäftsfrau im verkehrsberuhigten Viertel aus den Erfahrungen der vergangenen Woche ableitet. „Am Montag“, gesteht sie „hatte ich überhaupt keinen Kunden.“

Die Lage wird von den Geschäftsleuten überwiegend als dramatisch eingeschätzt, besonders, nachdem die Polizei am Montag begann, Knöllchen an die AutofahrerInnen zu verteilen. „Wer einmal 20 Mark bezahlt hat, der kommt doch nie wieder“, fürchtet der Besitzer des Schuhauses Hankel. „Friedhofsruhe, Grabesstille“ sei im vormals so belebten Viertel eingetreten. Hankel beziffert seinen Umsatzrückgang auf mehr als 30 Prozent. Mindestens so hoch liegen die Verluste in der Schuhreparaturwerkstatt Richter. Etwa ein Drittel der KundInnen reiste bislang aus Delmenhorst, Oldenburg, Oberneuland oder der Vahr an. Die bleiben seit Beginn des Jahres weg.

Etwa 280 Betriebe mit insgesamt etwa 1.000 MitarbeiterInnen sind nach Angaben von Norbert Caesar, dem Vorsitzenden der Interessengemeinschaft „Das Viertel“, von der Verkehrsberuhigung betroffen. Eine Woche nach Inkrafttreten sei es zu ersten Entlassungen von Angestellten gekommen. Besonders schwer haben es, so Cäsar, die Boutiquen, die Bäcker und jene Läden, die mit schweren Sachen wie Wein oder Möbeln handeln. Diese Branchen beklagen Umsatzrückgänge bis zu 80 Prozent.

Selbst im Bioladen „Kraut und Rüben“ in der Wulwesstraße herrscht Unzufriedenheit über das Autoverbot am Ostertorsteinweg und Steintor. Die Wulwesstraße sei ständig total zugeparkt, sodaß die LKWs kaum Platz hätten, die Ware zu entladen. Für eine Umsatzprognose allerdings, meint Mitbesitzerin Lisbeth Mäder-Baier, sei es zu früh.

„Die Verkehrsberuhigung in dieser Form wird von der überwiegenden Mehrheit aller Geschäftsleute abgelehnt“, weiß Norbert Caesar. „Den Durchgangsverkehr will niemand, aber den Zielverkehr hätte man erhalten sollen.“ Vernünftiger als das rigide Autoverbot wäre eine differenzierte Planung gewesen, die auf ein System gegenläufiger Einbahnstraßen abgestellt hätte. Zumindest aber hätte man bei der Durchsetzung sensibler vorgehen und für eine größere Akzeptanz der alternativen Parkplätze werben müssen. Das Parkhaus am Theater, am Hohenpfad, an der Lübecker Straße oder das Vierteltaxi seien noch gar nicht im Bewußtsein der AutofahrerInnen verankert. Statt diesbezüglich Arbeit und Geld zu investieren, hätten die politischen Entscheidungsträger die ViertelbesucherInnen brüskiert, um sie nun mit Bußgeldern zu überziehen. „Und dieser Aufwand, alle 50 Meter zwei Polizeibeamte aufzustellen, kostet schließlich auch Geld.“

„Wir können die Polizei nicht noch wochenlang dort postieren“, meint auch Brigitte Emmerich. Sie ist beteiligt am Marketing-Konzept der Viertelinitiative und ist die Ansprechpartnerin des Einzelhandels. Die Idee der Verkehrsberuhigung war gut, aber schwer durchzusetzen, meint sie und plädiert für ein „modifiziertes Verkehrskonzept“, das den Autoverkehr beschränkt ermögliche, aber die Dauerparker aus dem Viertel verbanne.

„Die bisherige Umsetzung ist nicht Fisch, nicht Fleisch“, bestätigt Saravi Hossain, Besitzer mehrere Kneipen und der Modeboutique PEP. Er ist für die Verkehrsberuhigung, doch hätte man dafür und für das Vierteltaxi cleverer werben müssen. Einfach die Autos zu verbannen und stattdessen überall „alte Schilder aufzustellen“, sei keine Lösung. „Das war die Lösung der Bürokraten, die eine Luxusidee durchsetzen wollten.“ Da gelte es unbedingt nachzurüsten: Die Werbung müsse verbessert, die Straßenzüge attraktiver werden, Bänke aufgestellt und Bäume gepflanzt werden: „Das Outfit des Viertels muß sich ändern. Dann kann das auch klappen!“ dah