Vormittag im Vollrausch

Seit dieser Woche hat Sat.1 auch das Vormittagsprogramm umgekrempelt. Ab 10 Uhr reiht sich Spielshow an Spielshow an Talkshow. Danach geht's am besten wieder zurück ins Bett, meint  ■ Oliver Gehrs

Aufstehen lohnt sich wieder, hat Sat.1 gesagt. Das wollen wir doch mal sehen! Pünktlich um 9.55 Uhr schellt der Wecker. Die Zeit reicht noch, um einen Kaffee aufzusetzen und einen Blick auf die Zeitung zu werfen, von der finstere Hamas- Aktivisten schauen. Da guck' ich lieber fern.

9.59 Uhr. Noch etwas benommen drücke ich Knopf drei der Fernbedienung (Sat.1 schon auf drei, wegen „ran“). Uschi Glas bahnt sich ihren Weg durch einen Trailer für „Anna Maria“, und Wontorra verspricht, daß ein neuer Anfang möglich ist. Dann geht alles Schlag auf Schlag. Jörg Pilawa rennt ins Studio von „Hast du Worte!?“, und bevor ich noch am Kaffee nippen kann, spielen bereits vier Kandidaten um Punkte und Geld. Gut, daß es nur die Pyramide ist. Die kenne ich noch von Heck. Um 10.07 Uhr sind bereits sechs Runden gespielt und meine Sympathien verteilt: Nicole soll gewinnen, weil sie immer „weiter“ sagt, obwohl es „weiter“ gar nicht gibt.

10.15 Uhr. Erste Pause mit Perwoll und Megaperls. Ich nutze die Zeit, um schnell Croissants zu kaufen. Als ich zurückkomme, steht es schon 56 : 51 für Nicole! Die spielt jetzt ums Ganze, sagt Jörg Pilawa. Das Ganze sind 10.000 Mark. Am unteren Bildrand erscheint eine Adresse, bei der man sich bewerben kann. Ganz automatisch schreibe ich mit. Schon wegen der 10.000 Mark. 10.27 Uhr. Endrunde. Während Nicole in eine Gestik- Sperre geschnallt wird, zünde ich mir die erste Zigarette an. So früh rauche ich sonst nie. Nach dem dritten Zug hat Nicole gewonnen und fällt Pilawa um den Hals. Erleichtert lehne ich mich zurück. Kein schlechter Anfang.

Vor Elmar Hörig habe ich richtig Angst – nicht nur morgens. Was soll man von jemandem halten, der mit fast 50 noch „geilomat“ sagt und sich selbst am liebsten Elmi nennt? Doch da muß ich jetzt durch. Im Ersten spricht jemand über Ruanda, auf RTL raunt Erika Berger was von Schlangenphobie. Vielleicht ist Elmi mit „Bube, Dame, Hörig“ ja doch nicht so schlecht. Punkt 10.30 Uhr füllt er mit Sabine, Michael, Elke und Markus das Bild. Die müssen jetzt raten, wieviel Bauarbeiter sich für 25.000 Mark Heinos Gesicht auf den Arm tätowieren lassen. Nur 16 Prozent! Denen geht's viel zu gut, denk' ich.

10.45 Uhr. Pause mit Wontorra, Anna Maria und Claus Hipp. Danach dreht Elmis Assistentin Mio Karten um, und die Kandidaten müssen raten, was als nächstes kommt, „höher“ oder „niedriger“. Ganz einfach eigentlich, aber Michael und Elke verstehen das trotzdem nicht und vergeigen die Sache mit dem Jeep. „Das ist ein Allrad“, sagt Elmi, „wir haben alle Räder nachgezählt.“

Zwischen zwei Trailern gieße ich Kaffee nach, denn jetzt kommt die erste Talkshow des Tages. Das Herzstück des neuen Sat.1-Vormittags. Um 11.00 Uhr geht am oberen Bildrand eine Tür auf, und der gemütlichste aller „ran“-Reporter, Johannes B. Kerner, kommt die Treppe herunter. Es geht um Menschen, die ihre Haustiere lieben, und solche, die eben diese Menschen hassen. So einer ist Hartmut, der aussieht wie Christian Ströbele, nur ohne Augenlider. Wenn alles klappt, wird er sich mit der blonden Sandra streiten, die ihren Dackel mit ins Bett nimmt und ihm Putenherzchen mit Möhrchen kocht. Hartmut hat schon mal Hund gegessen. Auf kantonesische Art. Schmeckt gut, sagt er mit einem fiesen Seitenblick auf Sandra. Ja, die Chinesen machen sowas, weiß auch Kerner, über dessen Bauch eine Telefonnummer fließt: „Dabei sein im Studio? O.K.!“ Von wegen o.k. Die Nummer ist ständig besetzt. Wahrscheinlich wollen sich alle über Hartmut beschweren, der nur noch von Viehzeug und Zwingern redet.

Um 11.18 Uhr kommt auch Sandras Freund, dessen dunkles Haar wie ein Dobermann-Fell schimmert. Zusammen sehen sie aus wie Siegfried und Roy. Dann kommt Monika, die mit zehn Katzen und drei Ratten zusammenlebt. Ratte schmeckt auch ganz gut, sagt Hartmut, der inzwischen nur noch von haarendem Kroppzeug spricht. Die Pause um 11.27 Uhr mit Anna Maria und Wontorra haben wir alle nötig. Danach läuft bei Kerner das volle Kack-Programm. Überraschend zieht Hartmut einen Schuh aus der Tasche, unter dem ein meterdickes Kot-Plateau klebt. St. Pauli ist ein einziger Kackhaufen, sagt er. Es geht um Lebensraum, ruft jemand im Publikum und empfiehlt Hartmut, sich doch mal die Exkremente in der Nähe von Autobahn-Raststätten anzuschauen. Bei dem Gedanken lege ich erstmal mein Croissant beiseite und gehe selbst mal kurz aufs Klo.

Als ich um 11.46 Uhr zurückkomme, faselt Hartmut mit irrem Blick von Schrotflinten und Abknallen. Das Publikum ist in Lynchstimmung, doch wenig später pfeift der „ran“-Jockel ab. „Morgen gibt's das Thema ,Schwiegermutter redet überall rein‘.“ Kurz überlege ich, ob ich durchmachen soll. Doch dann gehe ich lieber wieder ins Bett.