Der Spion, der von rein gar nichts wußte

■ In Stuttgart steht ein ehemaliger CDU-Bürgermeister wegen Agententätigkeit vor Gericht: Er will seine Berichte statt für die Stasi für Unilever geschrieben haben

Stuttgart (taz) – Der wohl letzte deutsch-deutsche Spionageprozeß könnte der lustigste von allen werden: 16 Jahre lang soll Uwe Matysek für die Stasi gearbeitet haben (sagt die Bundesanwaltschaft) und hat es nicht bemerkt (sagt der Angeklagte). Beide könnten recht haben. Das zumindest ergab der gestrige erste Verhandlungstag vor dem 4. Strafsenat des Stuttgarter Oberlandesgericht. Matysek, zuletzt Gemeindedirektor der Wedemark (Kreis Hannover), war davor Bürgermeister von Achern (Baden) und Rechtsamtsleiter in Kircheim/Teck (Württemberg). In seinem Schatten stand dabei immer „Herr Möbius“, den Matysek für einen Manager des Unilever- Konzerns hielt, der in Wirklichkeit aber als Agent des DDR-Geheimdienstes arbeitete.

Matysek, in den siebziger Jahren ein strebsamer Jurastudent, hatte das Angebot gefallen, Rechtsgutachten für den Unilever- Konzern zu schreiben und damit ein paar Mark zu verdienen. Das jedenfalls hatte ihm Herr Möbius 1973 in Kiel angeboten und damit eine lange Beziehung begründet, die erst mit dem Fall der Mauer abbrach. Möbius wurde aus unerfindlichen Gründen schwer krank und verschwand.

Geblieben sind die Akten, und die belasten den (inzwischen abgewählten) CDU-Gemeindedirektor heftig. In ihnen befanden sich unter anderem geheime Unterlagen der Nato-Übungen Wintex-Cimex, zu denen Matysek als damaliger Beigeordneter der Stadt Achern Zugang hatte. Im September 1994 wurde er festgenommen und fünf Wochen später gegen Zahlung einer Kaution aus der Haft entlassen. Seither kämpft Matysek um seine Rehabilitation.

Gestern nun war sein Tag: Ausführlich schilderte er die Treffen mit Möbius, für den er zwar viele Gutachten geschrieben habe, nie aber dabei Geheimnisverrat begangen habe. Dazu habe er weder Gelegenheit gehabt, noch sei er dazu als Demokrat politisch bereit gewesen. Tatsächlich erhielt die Stasi auf diese Weise ausführliche Betrachtungen zum bundesdeutschen Straßenverkehrssystem oder zum Bebauungsplanverfahren. Nicht einmal viel Geld strich der fleißige Jurist dafür ein: Ein paar Tausender in 16 Jahren mögen's wohl gewesen sein. Die, so glaubte Matysek fest, erhielt er von dem Weltkonzern Unilever, dessen „strategische Abteilung“ offenbar an allem interessiert war. Möbius war offenbar gut präpariert, so gut, daß Matysek nie Verdacht schöpfte. So traf man sich mehrfach vor Konzernzentralen in London oder Kopenhagen, und Herr Möbius trat immer aus der Tür der Firma, um den eifrigen Mitarbeiter zu begrüßen.

Wie die Stasi allerdings an die Nato-Unterlagen gelangte, blieb gestern ungeklärt. Matysek schwor Stein und Bein, sie Herrn Möbius nicht gegeben zu haben. Allerdings sei der falsche Manager öfter mal zu ihm ins Büro gekommen oder habe sein Auto ausgeliehen. „Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht, als ein Spitzenmanager Sie fragte, ob er mal Ihr Auto leihen darf?“ wollte der Richter gestern wissen und stellte damit die Kernfrage: Was hat er sich nur dabei gedacht?

Morgen erfährt man in dieser Hinsicht möglicherweise etwas mehr: Dann sagt Herr Möbius aus, der heute eine kleine Firma in Ostberlin leitet. Weil Agententätigkeit nach fünf Jahren verjährt, ist dies wohl vorläufig der letzte Spionageprozeß der deutsch-deutschen Beziehungskiste. Phillip Maußhardt