Sozialkritik ist viel zu muffig

■ Mark Schlichter, Regisseur des DFFB-Abschlußfilms "Ex", über Crash-Kids und Joyrider, Profis und Freunde, Autos, die Autobahngesellschaft und Teddybären

taz: „Ex“ war durch die ZDF- Finanzierung von Anfang an für das Fernsehen konzipiert. Glaubst du, man hätte diese Geschichte fürs Kino überhaupt finanziert bekommen? Momentan wird der deutsche Film ja doch eindeutig von Komödien beherrscht.

Mark Schlichter: Das wäre mit dem Thema wahrscheinlich schwierig geworden. Aber prinzipiell glaube ich schon, daß es ein Potential jenseits von Komödien gibt. Die Leute wollen auch mal was anderes sehen, wenn es gut gemacht ist. Aber Komödien sind preiswerter als Actionfilme und sind nun mal das sichere Pferdchen, auf das Produzenten lieber setzen.

Geldprobleme hattet ihr auch. Es war zu lesen, der 850.000-Mark-Etat hätte nicht mehr zu vernünftigen Autos für die Stunts gereicht. Fehlten die Überrollbügel?

Viel schlimmer. Uns sind mitten in der Aufnahme Kupplungen zusammengekracht. Das ganze Team mußte Autos anschieben und/oder mit Seilen ziehen, damit es wenigstens so aussieht, als würden sie noch fahren. Das kostet Zeit und dann auch wieder Geld. Man braucht für Actionmomente einfach Geld, sonst sieht es lächerlich aus. Wir haben uns aus der Affäre gezogen, indem wir mit der Kamera flexibel waren und keine Totalen gemacht haben, wo drei Autos ineinanderkrachen und sich überschlagen.

Hättest du „Ex“ anders gedreht, wenn du vorher schon gewußt hättest, daß er auch ins Kino kommen wird?

Nein. Vom Drehbuch her hatten wir gleich das Gefühl, das könnte eventuell etwas fürs Kino sein, deswegen haben wir auf Super16 gedreht, was man eben – festivalkompatibel – auf 35 Millimeter aufblasen kann. Wir haben auch Stereo gedreht und gemischt. Mit wesentlich mehr Geld hätten wir gleich auf 35 gedreht. Dann wäre einiges vielleicht brillanter geworden, beispielsweise die Nachtszenen. Das war bei uns alles schon sehr sparsam, aber andererseits fand ich das für das Thema auch gut so.

Verschulden mußtest du dich aber nicht?

Nee, ausnahmsweise nicht. Das ist mir bei den Kurzfilmen zum großen Teil gelungen, aber hier lief es gut. Einfach deshalb, weil das Team zum großen Teil aus Freunden bestand. Und obwohl die Profis waren, haben sie auch auf Überstundenbezahlung verzichtet.

Und vom ästhetischen Gesichtspunkt? Hättest du vielleicht weniger klassische TV-Halbtotalen benutzt und statt dessen mehr Totalen und Nahaufnahmen?

Ich hätte wohl ganz ähnlich aufgelöst. Da hat mich der Sender auch nicht eingeschränkt. Die ZDF-Redakteurin, die meine Kurzfilme kannte, hatte ein paar kleine Sorgen – bitte nicht nur Totalen, es wäre schön, wenn man ab und zu ein Gesicht erkennen könnte –, aber die haben mir alle Freiheiten gelassen. Ich habe so gedreht, wie ich fürs Kino auch gedreht hätte.

Daß „Ex“ doch ins Kino kommt, hängt hauptsächlich mit dem Preis beim Münchner Filmfest zusammen.

Das hat die Sache nur verschnellert. Aber München war der Anlaß, da kamen die Verleiher ja schon vor dem Preis und nicht erst nach dem Preis auf mich zu. Der Preis hat uns beim Filmboard Brandenburg geholfen, das dann das Blow-up des Negativs und die Kopien finanziert hat.

Du hast für die Nebenrollen einige sehr bekannte Schauspieler bekommen: Heinz Hoenig, Burkhard Driest, Wolfram Berger. War es nicht verlockend, deren Rollen auszubauen, wenn man solche Leute schon mal hat?

Natürlich. Aber es war auch klar, daß das gar nicht ging. Bei Hoenig war's überhaupt ein Wunder, daß er sich den einen Tag freigeboxt hat. Sein Agent hat gesagt: Vergiß es, zwei Jahre vorher anmelden, auch wenn es nur um drei Drehtage geht. Aber ich wußte, wo er drehte, in Berlin, und da bin ich zum Drehort und habe ihn gefragt, ob er Lust hätte, einen Tag Streß zu haben, kein Geld, aber 'ne ganz schöne Rolle.

Burkhard Driest hingegen war eine Empfehlung von Reinhard Hauff, der mein Direktor an der DFFB war. Ich sollte mich mit Burkhard mal zusammensetzen wegen des Buches, der Dramaturgie, weil Driest jetzt ja fast nur noch schreibt. Und da habe ich ihn auch gefragt, ob er Lust hat, mal nach Berlin zu kommen für den kurzen Auftritt. Das waren Freundlichkeiten und Geschenke von den beiden.

Und Berger?

Dem hab' ich ganz normal das Buch geschickt und ihn gefragt, ob er Zeit hätte für sechs, sieben Drehtage. Es hat sich ergeben, daß er Zeit hatte und die Rolle interessant fand. Natürlich wie bei allen Schauspielern auch für ungefähr nur ein Viertel der Normalgage.

Berger hat ja noch eine richtige Rolle, aber Hoenig prügelt sich einmal, heult einmal auf dem Klo, und dann wartet man automatisch die ganze Zeit, daß er noch mal auftaucht. Das ist fast traurig.

Das ging mir genauso. Ich habe auch überlegt, ob man das noch hinkriegt, aber es war vom Pensum in einem Drehtag gar nicht zu schaffen. Ich hatte zwar was im Hinterkopf, weil mir klar war, daß er rein dramaturgisch am Ende noch mal auftreten muß. Aber das war absolut nicht drin.

Hast du für die Crash-Kid- Szene recherchiert?

Das sind ja eigentlich keine Crash-Kids mehr in meinem Film. Das sind alt gewordene Crash- Kids. Aber wir haben Zeitungsartikel gesammelt, die in der Zeit rauskamen, und wir haben uns mit den Leuten unterhalten. Ich habe ein ausgedehntes Casting gemacht mit 150 Jugendlichen von der Straße, aus Schulen, Laienspielgruppen, Schauspielschulen.

Und da kam dann irgendwann auch eine zwanzigköpfige Jugend- oder fast Kinderschar an, mit denen wir uns länger unterhalten haben. Da ging es dann vor allem darum: Warum und wie knacken die Autos? Die technischen Einzelheiten mußten wir natürlich wissen. Die waren alle um die 17, 18 Jahre und ziemlich offen, aber bei denen war die Zeit auch schon vorbei, denn alle haben Ärger mit der Polizei bekommen.

Die Schauspieler in „Ex“ allerdings sind durchgehend älter.

So jung sollten die gar nicht mehr sein. In den allerersten Drehbuchfassungen waren sie zwar 16, 17, aber beim Casting habe ich gemerkt, daß ich mit etwas Erwachseneren besser arbeiten konnte. Und auch zum Buch paßte es, welche zu nehmen, die das schon seit drei, vier Jahren machen und bei denen die Luft raus ist. Das sagt ja auch schon der Titel: Der Höhepunkt und die Lust sind überschritten, und es geht langsam bergab. Und die Schauspieler sind alle Anfang Zwanzig, nur Robert Viktor Minich, der den Mario spielt, ist etwas älter, was ich für die Figur aber in Ordnung finde, weil der das schon seit Jahren macht.

Aber ich kenne die Kritik. Die entsteht auch durch die Verleihwerbung mit dem Reizwort Crash- Kids. Das führt auf die falsche Spur, es sind keine Crash-Kids. Wenn man mit Anglizismen rumhampeln will, dann sind es Joyriders. Ob die Autos knacken oder eine Bank ausräumen, das sind einfach Jugendliche auf dem Sprung zum Erwachsenwerden.

Bei Sara liegt noch ein Teddybär neben dem Bett.

Ich kenne einige erwachsene Frauen, bei denen das noch so ist. Das fand ich überhaupt nicht abwegig. Ich habe auch noch einen neben meinem Bett liegen.

Daß Andreas Dinah Diakité, der den Robert spielt, Halbafrikaner ist, hat keine Bedeutung im Film.

Zuerst dachte ich auch, ich müßte jetzt das Drehbuch umschreiben. Aber dann habe ich mir gedacht, das spielt in der Berliner Szene eigentlich auch keine Rolle mehr. Ich habe es ausgeklammert, weil es alltäglich ist. Ich wollte nicht noch extra irgendwelche Skinheads hin und her rennen lassen.

Die Darstellung der Russen ist sehr klischeehaft geraten. Da werden Deals im Licht tiefergehängter Lampen abgewickelt, der Mafiachef schluchzt, wenn er Lieder aus der Heimat hört.

Das war Absicht.

Aber das ergibt eine ziemliche Diskrepanz zu den dominierenden realistischen Momenten.

Ja, klar, es ist ein Spiel mit den Klischees. Aber wenn du russische Abende in Berlin erlebst, da singen die, sind mit Seele und Herz dabei. Ich habe da des öfteren nasse Taschentücher gesehen. Die Lampen hingen vielleicht etwas tief, da magst du recht haben, aber das Licht gefiel mir so gut.

Bei fast allen Protagonisten fehlen die familiären oder sozialen Hintergründe.

In ersten Drehbuchfassungen gab es mehr Hintergründe, aber dann habe ich gemerkt, das habe ich schon tausendmal so gesehen. Aus welchem Milieu die kommen, das wird ausgelassen, weil sich das auch jeder selbst zusammenreimen kann. In jedem sozialkritischen Film wird die Familie vorgestellt, der Vater ist noch Alkoholiker – dazu hatte ich einfach keine Lust.

Würdest du „Ex“ trotzdem als sozialkritisch bezeichnen?

Nein, eher gesellschaftskritisch, wenn überhaupt. Weil es Situationen gibt, in die die Gruppe gerät, die stark von Egoismus und Besitz geprägt sind. Als Sara auf dem Parkplatz fast vergewaltigt wird, kümmert das niemanden, aber als sie zweimal gegen Autos treten, sind plötzlich alle da. „Sozialkritisch“ hat immer so was Muffiges aus den 70er, 80er Jahren.

Ist die brisante Thematik nur noch schicke Hintergrundfolie für eine Liebesgeschichte?

Das Thema lag mir schon nahe. Das hat auch was mit der Autobahngesellschaft zu tun, in der wir weniger leben als aneinander vorbeirasen. Das Auto als Waffe. Oder wenn du selbst mal einen Unfall hattest und dann nachts versucht hast, auf der Autobahn ein Auto anzuhalten. Diese Situation gibt es ja auch im Film. Oder man fragt sich: Wie kommen Leute dazu, Autos zu knacken und damit aus Spaß Rennen zu fahren? Dasselbe mit Drogen: Wie weit geht man über die Grenzen? Das hat mich interessiert. Und in den emotionalen Beziehungen zwischen den Figuren spiegelt sich das.

War es dann aber nötig, die Actionelemente so zuzuspitzen? Mußte es unbedingt Knarren und Tote geben?

Das ist eine dramatische Übersteigerung. Im Prinzip hätte man die Sache mit dem Autounfall beenden können, sicher. Es gab vorher auch mehrere Enden. Wir hatten mal überlegt, ob sich Mario einfach davonmacht. Aber das hätte nicht funktioniert. Interview: Thomas Winkler