Nase pudern auf dem Abrißhaus

■ Das Blau ist oben, und unten gibt es kein Entrinnen: Schlichters Film „Ex“

007 spielt mit der Russenmafia rum – da sind wir Berliner doch viel näher dran. Dachte sich wohl Mario, und da er als zu alt gewordenes Crash-Kid eh auf der Suche nach einer beruflichen Perspektive ist, klaut er fortan Nobelkarossen für Vladimir. Doch noch mehr Unordnung in sein Leben bringt der Tod seines besten Freundes bei einem Privatautorennen. Und bei der Beerdigung taucht da dieser Robert auf, und haste nicht gesehen ist Freundin Clara auf und davon mit ihm. Über ihnen fliegt ein Rabe. Die Knarre ist schnell besorgt, und das Verhängnis nimmt seinen unausweichlichen Lauf ...

„Ex“ ist der erste lange Film von Mark Schlichter und war zugleich seine Abschlußarbeit für die DFFB. Lange um eine Finanzierung betteln mußte Schlichter nicht, beim „Großen Fernsehspiel“ des ZDF fiel er durch, weil schon ein ähnlicher Stoff in Bearbeitung war. Dort entstand mit etwas mehr Geld und längst gesendet „Abgefahren“ von Uwe Friesner. Schlichter landete dafür beim „Kleinen Fernsehspiel“, 550.000 Mark kamen von dort, 150.000 hat arte spendiert. Die DFFB stellte Equipment zur Verfügung, und insgesamt kostete „Ex“ dann ungefähr 850.000 Mark. Einen Preis gab es beim Filmfest in München.

Während Friesner sich an altersgerechte Crash-Kids heranwagte, interessierte Schlichter der Übergang zum Erwachsenwerden (s. Interview). So reden seine Protagonisten hin und wieder recht bedeutungsschwanger, während sie sich auf dem Dach eines abrißreifen Hochhauses die Nasen pudern. Nach einer „totalen Geborgenheit“ sehnt sich Clara, während der Dreck unter ihren Fingernägeln von Authenzität kündet, und dazu blickt sie in die Ferne über die Dächer von Berlin. Vögel kreuzen den Weg der Kamera. Beim Surfen auf dem Dach eines geklauten Wagens wirft sie dem ängstlichen Robert verliebte Blicke zu. So einfach kann manchmal das Leben sein.

Währenddessen wird Marios Blick immer drogenverhangener und sein neuer schicker Anzug, den ihm der Geschäftspartner Vladimir angepaßt hat, immer durchgeschwitzter. Noch eine nächtliche Nase vom abgerissenen Rückspiegel des nächsten Diebesgutes, während Clara und Robert im Fond Händchen halten. Für Mario wird das Leben ziemlich beschissen, soviel ist schon mal klar.

Immer wieder füllt der Himmel das Bild, und Vögel fliegen. Aber das Blau ist dort oben, und hier unten gibt es kein Entrinnen, auch wenn das Chill Out im Hof des E-Werks Idylle verspricht. „Das ist doch einfach Scheiße, das macht keinen Spaß mehr“, sagt Klaus, der immer noch gut Freund ist mit allen, aber längst schon nicht mehr Mario auf dessen Selbstzerstörungstrip folgen will. Und selbst der weiß längst Bescheid: „Morgen? Was ist morgen? Morgen bin ich tot.“ Und so soll es denn auch sein. Für die anderen fliegen zwar noch die Vögel, aber sie verheißen nicht mehr die Zukunft.

Trotz des melodramatischen Endes ist „Ex“ dann am besten, wenn er nur Alltägliches abbildet, fast dokumentarisch: Drogen, Saufen, Techno, Autoknacken, Cruisen. Man merkt, daß man es hier mit einer Abschlußarbeit zu tun hat, aber gerade diese Kanten tun dem Film gut. Thomas Winkler

„Ex“. Regie: Mark Schlichter, Kamera: Carl F. Koschnick, Darsteller: Robert Viktor Minich, Christiane Paul, Andreas Dinah Diakité, Florian Lukas, Wolfram Berger, Heinz Hoenig, Rolf Peter Kahl u.a.

Zu sehen in: Blow Up 2, Kurbel 1, Moviemento 1, Sputnik Südstern