Mit großen Wermutsaugen

Sidney Pollacks Remake von Billy Wilders süßer Romanze „Sabrina“. Der Cinderella-Effekt ist dem Yuppie-Charme gewichen. Der Altmeister ließ grüßen: „Viel Glück, euer Billy“  ■ Von Mendy Weaver

Mit frischen Muscheln vom Fulton Market, um vier Uhr morgens in Downtown Manhattan erstanden, hocken Harrison Ford und Julia Ormond um ein kleines Lagerfeuer. Nebelschwaden wabern heran, verlieren sich sehr hübsch zwischen den langen Schilfhalmen. Sterne blinzeln freundlich herab. Ford nimmt einen kleinen Schluck aus seinem Glas, zieht Schuhe und Strümpfe aus und wagt ein kleines Tänzchen. Ormond lacht, sogar heller und lüsterner, als man das von ihr erwarten würde.

Ach, Sie wissen schon: In Wahrheit kommt der Nebel aus einer Nebelwerfmaschine, der Wein ist Traubensaft, die Sterne sind bloß Stecknadelscheinwerfer, die aus dem blauen Samtzelt strahlen.

Wenn man mal von den Witzchen absah, die Harrison Ford ab und an spendierte, ging es auf dem Set von „Sabrina“, Sidney Pollacks Remake der Billy-Wilder-Romanze aus dem Jahr 1954, immer echt busineßlike zu.

Der Druck war aber auch erheblich. Pollack vergißt keine Sekunde lang, daß dies schließlich jedermanns Lieblingsromanze war, mit Audrey Hepburn, Humphrey Bogart und William Holden in den Hauptrollen; in der Geschichte einer Chauffeurstochter, die in einen Liebesreigen mit dem einen und dann dem anderen Sohn des Hausherren tritt. Natürlich wird man Ormond mit Hepburn vergleichen; kaum ein Star wäre dazu bereit gewesen. Juliette Binoche war im Gespräch, und die britische Balletteuse Darcey Bussel, aber als Ormond in „Legenden der Leidenschaft“ reüssiert hatte, war allen alles klar. Für die European Sophistication, die hier offenbar gefragt ist, mußte Ormond sich die Haare abschneiden (wie die Hepburn in „Ein Herz und eine Krone“), und ob's gereicht hat, müssen Sie entscheiden. Der Cinderella-Effekt soll allerdings etwas korrigiert werden: Statt, wie in der ursprünglichen Geschichte, nach Paris zu gehen um eine Cordon-bleu-Schule zu besuchen, wird sie nun Volontärin bei Vogue. Übrigens hat das Remake schon neue Kollektionen auf der Seventh Avenue inspiriert, die sich aber natürlich auch an der Hepburn-Ausstattung orientieren.

Die ganze Geschichte hat Pollack nun ohnehin mehr auf den Charakter von Linus Larabee, den großen Bruder des Charmeurs David Larabee, konzentriert. Sabrina hat sich nämlich in David verliebt. Sie beobachtet ihn bei jedem Gartenfest mit großen Wermutsaugen, denn sie weiß, gleich wird er wieder mit den beiden Sektkelchen in der Hose hinterm Haus verschwinden und Mädchen küssen). Als aber David, wie man so sagt, ihre Gefühle zu erwidern beginnt, bekommt die Firma Angst um die lang projektierte Zukunft der Dynastie: David soll die klugattraktivreiche Elizabeth Tyson (!) ehelichen, deren Vater den Vorteil hat, einen Konzern für Kommunikationstechnologie zu besitzen.

Herr Tyson hat gerade den größten und flachsten Bildschirm aller Zeiten produziert. Klar ist die Branche dieses „Class-doesn't- matter“-Klassikers heutzutage die Kommunikationsbranche: Arme und Reiche: Redet miteinander! Ruft mal wieder an!

Während also das Aschenputtel in Paris weilt, verlobt sich der junge Prinz mit Elizabeth. Aschenputtel mausert sich aber, wie es die Vogue will, zu einer aparten jungen Frau, die eines Tages gänseblümchengleich an einem Straßenrand in Long Island steht. Dort findet sie David, der wieder in Liebe fällt; diesmal aber will sein Bruder Linus alles tun, das zu verhindern.

Linus ist eigentlich ein Charakter der achtziger Jahre, eine Art Wall-Street-Hai („der einzige lebende Herzspender“), heißt einer der kleinen Scherze im Film. Pollack hat ihn nach einigen Branchengrößen modelliert, die er selbst kennt; Edgar Bronfman oder Barry Diller von Fox.

Linus bietet Sabrina zunächst Gold und Geld, wieder nach Paris zurückzugehen. Als alles nichts fruchtet, macht er ihr den Hof und wird dann, bekanntermaßen, von der eigenen Performance eingeholt. Wie gesagt: der einzige lebende Herzspender...

Pollack, so Harrison Ford beruhigt, „ist ein alter Hase. ,Sabrina‘ ist bei ihm in guten Händen“. 61 Jahre alt ist Pollack, hinter dem Filme wie „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuß“, „Die drei Tage des Condor“, „Jenseits von Afrika“ oder „Tootsie“ liegen. Er ist damit der einzige Regisseur seiner Generation, der noch am Ball ist, ohne wesentliche Einbrüche erlebt zu haben. Er selbst ist etwas skeptisch, was „Sabrina“ angeht. Die Tatsache, daß schon während der Dreharbeiten die Videotapes von „Sabrina“ überall in New York ausgeliehen waren, macht ihn ein bißchen mürbe: „Das ist nicht so doll, es bedeutet: Alles, was nicht im Original ist, muß enttäuschen.“ Zum Start haben sie ein „Sabrina“-Filmplakat von 1953 zugeschickt bekommen, auf dem stand: „Good luck, Billy Wilder“.

„Sabrina“. Regie: Sydney Pollack. Mit Harrison Ford, Julia Ormond, u.a. USA 1995, 127 Min.