Szenisches Matriarchat mit 600 Fiestas

Im mexikanischen Juchitán beherrschen majestätische Frauen das Straßenbild, den Markt und die Häuser. Den Männern gehört das Rathaus. Dort kann sich eine der wenigen Damen auch als perfekt gestylter Transvestit herausstellen  ■ Von Anne Huffschmid

Auf ins Matriarchat! Lädt die taz ihre LeserInnen ein und lockt mit „Jaguar und Federschlangen“, auch „Mythen“ und „Geisterstimmen“ sollen die Stippvisite ins mexikanische „Frauenparadies“ Juchitán schmackhaft machen. Zu sehen ist ein Foto von stolzen Frauen, sinnlich und einander zugewandt – ganz anders als jenes eine, stereotype Bild der gebeugten Elendsindianerin, das sonst viele Berichte aus Lateinamerika zu zieren pflegt.

Kein Zweifel, Juchitán ist anders. Das merkt nicht erst, wer Texte deutscher und mexikanischer Autorinnen zum Thema liest, wie von der Soziologin Veronika Bennholdt-Thomsen oder der Schriftstellerin Elena Poniatowska. Die Gassen und Märkte dieses glutheißen Städtchens an der Pazifikküste sind ein wahrer Augenschmaus. Gewaltige Frauen in knallfarbenen Röcken und buntbestickten Blusen stolzieren über das Kopfsteinpflaster, hoch aufgerichtet, geradezu majestätisch. Schlendern, geschäftig und dennoch ohne Hast, zwischen Ständen mit Früchten und Tortillas, Garnelen und Gürteltieren. Stämmige Matronen, die ihre Blumentröge sortieren und gelassen auf die Kundschaft warten. Neugierig mustern sie die Vorbeikommenden, mit offenem Blick und alles andere als schüchtern. Im Schatten der Arkaden thronen andere hinter ihren dampfenden Töpfen und pfeifen ein paar blonden Neuankömmlingen anzüglich hinterher. „Seht mal!“ rufen sie einander lachend zu, „einer hübscher als der andere.“ Aber auch der weiblichen Besucherin werden Komplimente gemacht: „Hallo, Süße...“

Nina Hagen wäre entzückt: unbeschreiblich weiblich geht es auf den Straßen von Juchitán zu. Die Männer sind erst auf den zweiten Blick zu erkennen, als Bauarbeiter, Fahrer oder Schuhputzer im Hintergrund. Stehen im Schatten beisammen, manch einer wiegt ein Baby im Arm, andere tratschen und halten gebührenden Abstand zu „ihren“ Frauen. Als zumindest „szenisches Matriarchat“ hat der mexikanische Chronist Carlos Monsiváis das Städtchen mit seinen mehr als hunderttausend EinwohnerInnen beschrieben – in dem es keinen einzigen Supermarkt gibt. Denn es sind besonders die unzähligen Marktstände, nach Schätzungen von Bennholdt- Thomsen weit über tausend, die die Dominanz des Weiblichen hier begründen.

Neben der Arbeit als taberneras, fliegende Bierverkäuferinnen, und als mayordomas – die mehr als 600 Feste im Jahr vorbereiten – sind die mächtigen Frauen in Juchitán vor allem Händlerinnen. Was ihre Männer aus dem nahen Meer fischen oder von den Feldern holen, verkaufen sie auf regionalen Märkten und „halten damit zugleich die zapotekische Wirtschaft zusammen“, meint Bennholdt- Thomsen.

Diese wird von Expertinnen als funktionierendes Geflecht aus Geld- und Tauschökonomie beschrieben, in dem sich Subsistenzorientierung und Geschäftssinn so gut ergänzen, daß hier deutlich weniger Armut als in den Nachbarprovinzen herrscht. Daß den Frauen in dieser etwas anderen Marktwirtschaft eine Schlüsselrolle zukommt, hängt nach Einschätzung der Soziologin vor allem mit der juchitekischen Hochachtung vor der Mütterarbeit zusammen – wesentliches Kennzeichen matriarchaler Gesellschaften. Nicht nur der Handel, auch die Heimstatt ist weiblich, die Finanzen werden von den Frauen des Hauses verwaltet, und sie sind es auch, die die familiären Ersparnisse in Goldschmuck anlegen.

Zwei andere „Eigenheiten“ machen das Bild eines mexikanischen Utopia, zumindest für Außenstehende, perfekt. Juchitán ist praktisch die erste „freie“ Kommune im Lande, die schon seit 1980 nicht mehr von der Regierungspartei PRI, sondern von dem linksoppositionellen Zusammenschluß COCEI regiert wird. Nicht minder attraktiv als die politische Dissidenz erscheint zudem der auffallende Mangel an Homophobie. So selbstverständlich wie die muxes, die männlichen Transvestiten, zum juchitekischen Straßenbild gehören, sind sie auch in den sozialen Alltag integriert. Das Schwulsein, besonders wenn es weiblich verkleidet daherkommt, ist hier, wo die Mamas und nicht die Machos das Sagen haben, keinesfalls ein Stigma.

Fast zu schön, um wahr zu sein – und geradezu ideal als Projektionsfläche. Für jene, die ausziehen auf der Suche nach heileren Welten, nach neuer Schwester- und Mütterlichkeit, nach einer anderen Art von Frauenpower. Ist aber nicht schon die Etikette Matriarchat, die übrigens auch Bennholdt-Thomsen keinesfalls als Modell oder gar Paradies verstanden wissen will, eine der „Mythen“, mit denen die taz für ihre „Frauenreise“ wirbt? Dabei sind es durchaus nicht nur Zugereiste, die angesichts der überbordenden Weiblichkeit ins Schwärmen geraten: „Juchitán ist ein mythischer Ort, wo der Mann seinen Ursprung findet und die Frau ihr eigentliches Wesen“, schreibt auch Elena Poniatowska begeistert.

Andere aber sehen die Sache etwas nüchterner. „Ach ja, diese Matriarchatsgeschichte“, seufzt Eli, Gay-Aktivist und Bildungsbeauftragter der Stadt. „Alle suchen's hier, nur die juchitecos wissen nicht so recht was damit anzufangen.“ Zwar beobachtet auch die Anthropologin Marinella Miano, die seit vielen Jahren in Juchitán lebt, daß die Vaterfigur in vielerlei Hinsicht tatsächlich „peripher“ sei. Die weibliche Stärke erklärt sich für sie allerdings weniger mit Mutterherrschaft als vielmehr mit dem ausgeprägten „ethnischen Stolz“ der JuchitekInnen. Diese verstehen sich ausdrücklich nicht als indios, sondern als zapotecos – eine der fünf Ethnien der Region und eine der traditionsreichsten präkolumbianischen Kulturen überhaupt. Rund vier Fünftel von ihnen sprechen beide Sprachen, Spanisch und Zapotekisch. Dabei verstehen sich besonders die Frauen als Hüterinnen und Symbole der ethnischen Ordnung und Identität. „Sie werden von ihren Männern nicht deshalb so geschätzt, weil sie Frauen sind“, meint Marinella, „sondern weil sie zapotekische Frauen sind.“

Sie haben zwar einige Macht, aber eben bislang auch noch alle Arbeit im Haus. „Männer, die sich an der Hausarbeit beteiligen, gelten nach wie vor als Schlappschwänze“, sagt Ursula Klesing- Rempel, die diverse Projekte und Kooperativen in der Region betreut. Und offenbar kommen die juchitecos mit der weiblichen Dominanz auch hier nicht allzu gut zurecht. Neun von zehn Anzeigen bei der Polizei werden wegen innerfamiliärer Gewalt erstattet.

Zwar ist die vielgerühmte Sinnlichkeit der juchitecas nun sicher kein Mythos, sondern, gerade auf den Festgelagen, unübersehbar und allgegenwärtig. Jungfräulichkeit steht dennoch hoch im Kurs. Heiratswillige müssen, in einer quasiöffentlichen Entjungferungszeremonie, auch hier der gesamten Nachbarschaft den berüchtigten Blutsbeweis erbringen – wobei heutzutage schon mal ersatzweise ein junges Huhn geschlachtet werde, wie Poniatowska berichtet, „das macht auch hübsche Flecken“.

Wirklich frei aber seien erst die alten Frauen, glaubt Marinella, „die, die alle Pflichten hinter sich gebracht haben“. Und die wichtigste Pflicht ist hier wie überall das Kinderkriegen. „Ohne Kinder existiert die Frau als Frau praktisch gar nicht.“ Die Frauen seien „eben sehr stolz darauf, zu sein, was sie sind“, heißt es dazu etwas poetischer bei Poniatowska, „weil sie ihre Erlösung zwischen den Beinen tragen und jedem seinen eigenen kleinen Tod schenken“. Auch die beiden dritten Geschlechter genießen nicht ganz dieselbe Freiheit: Während die muxes sich im juchitekischen Alltag völlig frei bewegen können, leben die marimachas, die sich männlich gebenden Lesben, weitaus verdeckter. Was allerdings wohl auch damit zu tun hat, daß Frausein(-Wollen) in Juchitán eben höher bewertet wird als Männerimitation.

Während Haus, Markt und fiesta unbestrittene Frauendomänen sind, gehört den Männern die cantina, der Fischfang, der überregionale Großhandel – und auch die große, institutionalisierte Politik. So ist das Rathaus eine der wenigen öffentlichen Räume, die eindeutig männlich dominiert werden. Selbst die eine oder andere Dame, die auf den Gängen geschäftig hin- und herläuft, kann sich bei genauerem Hinsehen leicht als perfekt gestylter Transvestit herausstellen. Manche erklären diesen Verzicht auf formale Machtpositionen mit der Souveränität der juchitecas, die es einfach „nicht mehr nötig“ haben. Andere glauben an eine Ausgrenzung von seiten der Männer, die eifersüchtig eines ihrer letzten Terrains verteidigen. Klesing-Rempel hat noch eine andere Erklärung parat: „Wie sollten die Frauen denn auch noch Politik machen? Die leisten doch das ganze Jahr über Schwerstarbeit und müssen all die Feste vorbereiten.“