Modell Mostar vor dem Aus

In der Westherzegowina wollen die Kroaten nicht mit den Muslimen zusammenleben. Die selbsterklärte Republik Herceg-Bosna besteht weiter  ■ Aus Mostar Erich Rathfelder

Der Schlagbaum braucht an diesem Tage nur selten bewegt zu werden. Am Grenzübergang Metković, wo sich noch vor wenigen Tagen Autos und Lastwagen drängten, um von der kroatischen Grenzstadt nach Mostar, Sarajevo oder Zentralbosnien zu gelangen, stehen einige Zöllner gelangweilt herum.

„Es ist wegen Mostar.“ Der kroatisch-bosnische Polizist zuckt die Achseln. Seit wieder Schüsse in der Stadt an der Neretva gefallen sind, seit es zwei Tote gab, warten die Reisenden lieber ab, wie sich die Dinge entwickeln, als sich auf eine Fahrt ins Ungewisse einzulassen. Die Straße zur 40 Kilometer entfernten Stadt Mostar ist gähnend leer. Nur ab und an tauchen einige Polizeifahrzeuge auf. Kurz vor Mostar, wo noch vor kurzem der Verkehr durchgewunken wurde, werden jetzt die Insassen der wenigen Autos von bosnisch- kroatischen Polizisten streng kontrolliert.

In Ostmostar ist die Atmosphäre äußerst gespannt. Die Menschen stehen in Gruppen herum und tuscheln miteinander. Die Gesichter sind besorgt. An der Autobrücke über den Fluß, die nach dem Willen der europäischen Administration die beiden Stadthälften miteinander verbinden soll, sind bewaffnete bosnische Polizisten postiert. Und an der nur 50 Meter entfernten Kreuzung auf der Westseite, wo einst die Frontlinie verlief, sind Schützenpanzer der spanischen Ifor-Truppen in Stellung gegangen.

Hier erschossen kroatische Polizisten in der Silvesternacht einen muslimischen Jugendlichen. Alen Mustović war damals zusammen mit Freunden nach einer Zechtour in Ostmostar hier aufgetaucht. „Sie haben mehrere Kontrollstellen durchbrochen“, erklärten die kroatischen Polizisten später. „Ein terroristischer Akt, ein Art Hinrichtung“, hieß es im dagegen im Osten. Am 6. Januar wurde der kroatisch-bosnische Polizist Zeljko Ljubić erschossen. Die Schüsse kamen zweifelsfrei aus dem muslimischen Ostteil der Stadt.

In der Nacht darauf übten Kollegen des ermordeten Polizisten Rache: Sie schossen mit Gewehrgranaten vom Boulevard aus in den Ostteil. Daraufhin rief der Administrator der Europäischen Union, Hans Koschnick, spanische Ifor-Truppen zur Hilfe. Seitdem hat sich die Lage wieder etwas beruhigt.

Die Euphorie nach der Unterschrift unter dem Vertrag in Dayton ist jedoch verflogen. Und die vollständige Bewegungsfreiheit in der Stadt, die für den 21. Januar angekündigt war, steht in Frage. „Die Ereignisse der letzten Tage haben zu einem Rückfall geführt.“ Hans Koschnick ist gereizt. Die Schüsse vom Boulevard haben mit einem Schlag sein Aufbauwerk der letzten 20 Monate in Frage gestellt. Unverhohlen werden in der Administration die westherzegowinische Kroaten als die Hauptschuldigen der Spannungen ausgemacht. „Es fing schon an, als die kroatische Seite am 28. Dezember die Auflagen von Hans Koschnick mißachtete“, sagt ein Mitarbeiter. Bei einer Militärparade führten die Kroaten nicht nur leichte Waffen mit, wie von der EU erlaubt, sondern auch schwere Waffen, Artillerie und Panzer. Im Radio werden wieder patriotische Lieder gespielt, im bosnisch-kroatischen Fernsehen erinnern sich Veteranen an ihre Siege. Genauso wie vor den Offensiven im Sommer letzten Jahres.

Die westherzegowinische Führungsriege ist nach der Unterschrift unter das Abkommen von Dayton in der Tat enttäuscht. Der Vertrag bedeutet das Ende der (international nicht anerkannten) kroatisch-bosnischen Republik Herceg-Bosna. Einige ihrer Führer, wie Darjio Kordić, sind in Den Haag als Kriegsverbrecher angeklagt. Ähnlich wie die serbischen Extremisten hatten die kroatisch- bosnischen Extremisten während des dreieinhalb Jahre dauernden Krieges ethnisch reine, von Kroaten kontrollierte Zonen geschaffen. Den kroatischen Streitkräften HVO war es 1993 im Krieg gegen die bosnische Regierungsarmee gelungen, das Gebiet von Westherzegowina, nördlich von Mostar, sowie die zentralbosnischen Kroatengebiete um Vitez und Kiseljak unter ihre Kontrolle zu bringen. Im Herbst 1993 wurden die HVO- Truppen aber von der bosnischen Armee besiegt. Mate Boban, der Architekt und Präsident von Herceg-Bosna, mußte abdanken. Auf Druck der USA und Deutschlands machten die Kroaten ihren Frieden mit den Muslimen. Herceg-Bosna wurde damit andererseits gerettet. Trotz der seit März 1994 bestehenden muslimisch-kroatischen Föderation bauten die Kroaten Verwaltung, Exekutive und Armee von Herceg-Bosna aus, auch und gerade in Westmostar, der Hauptstadt des selbsternannten Staates.

„Wir bosnischen Kroaten wollen unter uns bleiben.“ Mile Puljić ist Vizepolizeichef in Mostar und einer der Hardliner unter den kroatischen Extremisten. „Herceg-Bosna kann jetzt noch nicht aufgelöst werden.“ Der Vertrag von Dayton scheint den hageren Polizisten nicht zu interessieren. Und die von seinen Polizisten vertriebenen Muslime und Serben dürften, ginge es nach ihm, auch in Zukunft nicht wieder zurückkehren. Er scheut nicht einmal davor zurück, mit den serbischen Extremisten in Pale in einem Boot zu sitzen. „Wir haben, was die Existenz von nationalen Entitäten betrifft, ähnliche Interessen.“

Ist das die Botschaft der Schüsse von Mostar? „Wie in Sarajevo die serbischen, so wollen in Westmostar auch die kroatischen Extremisten zeigen, daß ein Zusammenleben unterschiedlicher Nationen nicht möglich ist.“ Der Journalist des bosnischen Rundfunks im Ostteil der Stadt ist spürbar aufgewühlt, während er diese Worte spricht. „Die Extremisten haben schon etwas erreicht“, sagt er. „Auch wenn die Bewegungsfreiheit ab dem 21. Januar verbürgt ist, wer wird sie dann noch wahrnehmen wollen?“