Ein Mann mit vielen verborgenen Talenten

■ Der neue russische Außenminister Primakow stammt aus der alten Garde der sowjetischen Nomenklatura. Doch eine antiwestliche Politik wird er nicht verfolgen

Moskau (taz) – Ein ausgewiesener Orientspezialist und Geheimdienstexperte hat die Nachfolge des zurückgetretenen russischen Außenministers Andrej Kosyrew angetreten. Der 66jährige Jewgeni Primakow, zuletzt Chef des Auslandsgeheimdienstes, gilt als politisches Schwergewicht. Seit der Ära Gorbatschow gehört Primakow zum engsten Zirkel der politischen Elite Moskaus. Er wirkte bislang mehr im Hintergrund und mied das grelle Rampenlicht der politischen Öffentlichkeit.

Der 1929 in Kiew geborene Primakow übernahm noch unter der Ägide des letzten Präsidenten der UdSSR im Herbst 1991 die Leitung der Auslandsaufklärung. Nach dem gescheiterten Putsch gegen Gorbatschow wurde der alte KGB in verschiedene Dienste aufgespalten. Primakow soll maßgeblich am neuen außenpolitischen Konzept mitgewirkt und die Ideologie des Revolutionsexports für obsolet erklärt haben.

Der Orientalist und Politikwissenschaftler arbeitete in den 60er Jahren als Auslandskorrespondent des kommunistischen Parteiorgans Prawda im Nahen Osten. Danach übernahm er als stellvertretender Chefredakteur die Asien- und Afrikaredaktion. Welche Aufgaben er während seines Auslandsdienstes noch wahrnahm, ist bisher nicht bekannt. Im allgemeinen tarnte die Sowjetmacht ihre Agenten im Ausland als Journalisten. So arbeitete Primakows Nachfolger auf dem Sessel des Chefaufklärers, Generalleutnant Wjatscheslaw Trubnikow, lange Zeit als Journalist in Indien und Bangladesch.

Zwischendurch wechselte Primakow immer mal wieder in leitende Funktionen im Wissenschaftsbetrieb. 1970 wurde er zum stellvertretenden Direktor des renommierten Instituts für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen berufen. Zwischen 1977 und 1985 führte er das Orientinstitut der Akademie der Wissenschaften, deren Mitglied er bis heute ist. Aus dieser Zeit liegen zahlreiche Buchveröffentlichungen vor. Gerade seine politischen und analytischen Erfahrungen, die er an der Akademie der Wissenschaften gesammelt habe, betonte er einmal, seien ihm besonders dienlich bei seiner Arbeit als Chefaufklärer seines Landes.

Den intimen Kenner der Nahostregion schickte die sowjetische Führung am Vorabend des Golfkrieges Ende 1990 als Vermittler in den Irak, um den Krieg zu verhindern. Seine Mission, die den USA sehr ungelegen kam, scheiterte. Im gleichen Jahr hatte er schon eine Niederlage hinnehmen müssen. Im aserbaidschanischen Baku pfiff ihn die Menge aus, als er versuchte, zwischen den ethnischen Konfliktparteien zu vermitteln. Daraufhin schlug die Sowjetmacht die Unruhen blutig nieder.

Primakow, dem Diskretion und Verschwiegenheit nachgesagt werden, gehört seit Oktober 1993 auch dem Sicherheitsrat Präsident Jelzins an und damit ohnehin schon zum engsten Kreis der politischen Entscheidungsträger. Mit Primakow übernimmt zwar kein ausgewiesener Antiwestler die Führung der auswärtigen Geschäfte. Allerdings weisen ihn sein Alter und Auftreten als Mann des alten Schlages, der Sowjetnomenklatura, aus. Von symbolischer Bedeutung ist dieser Umstand auf jeden Fall – ebenso wie seine Orientierung Richtung Osten. Es sieht gegenwärtig allerdings nicht danach aus, daß eine tiefgreifende Umorientierung der russischen Außenpolitik überhaupt machbar ist.

Bereits im Herbst 1994 warnte Primakow den Westen, seine Fühler nicht allzuweit in den „angestammten Vorgarten“ Rußlands, die GUS-Republiken, auszustrecken. Mit Sicherheit wird der neue Außenminister versuchen, die geopolitischen Interessen Rußlands zunächst in den Vordergrund zu stellen. Ob er damit Erfolg haben kann, steht noch auf einem anderen Blatt.

Vor Jahresfrist mahnte er die westliche Welt, auf die geplante Nato-Erweiterung zu verzichten. Auch das macht ihn noch nicht zu einem Gegner des Westens, denn kaum eine politische Kraft in Rußland sieht einer Osterweiterung des Bündnisses mit freudigen Gefühlen entgegen. Mit der Berufung Jewgeni Primakows zum neuen Leiter des Außenressorts gesteht der Kreml indirekt seine Kraftlosigkeit ein. Klaus-Helge Donath