Millionen Mark im Müllofen

Kabinett berät verschiedene Abfallverwertungs-Verfahren. Hersteller von Müllverbrennungsanlagen sind sorglos: Das Ausland ist groß  ■ Von Ralf Köpke

Heute beschäftigt sich die Kohl- Truppe mit Müll. Das Umweltbundesamt (UBA) hat im Auftrag des Kabinetts verschiedene Verfahren untersucht, mit denen die Exkremente der Konsumgesellschaft behandelt werden können, bevor sie auf der Deponie landen. Jetzt liegt ein Bericht vor. Darin geht es vor allem um die Frage, ob die Vorschrift der Technischen Anleitung Siedlungsabfall (TaSi) sinnvoll ist, die einen Anteil organischer Stoffe von höchstens fünf Prozent zuläßt. Dieser Grenzwert ist im Grunde nur durch eine Verbrennung des Abfalls einzuhalten. Mehrere Bundesländer fordern eine Änderung der Kriterien, die der Bundesrat vor drei Jahren selbst mit abgesegnet hatte.

MVA – dieses Kürzel für Müllverbrennungsanlagen übersetzte man bis vor kurzem in Nordrhein- Westfalen noch mit „Klaus Matthiesen Verbrennt Alles“. Der frühere SPD-Umweltminister setzte voll auf Feuer und Flamme, um der scheinbar endlos anwachsenden Müllmengen Herr zu werden. Etwa 25 MVA sollten flächendeckend zwischen Rhein und Weser gebaut werden. Matthiesens Nachfolgerin Bärbel Höhn von den Bündnisgrünen stoppte mit einer ihrer ersten Amtshandlungen diese Pläne: „Die Bedarfsprognosen sind viel zu hoch gewesen, deshalb wird es mit mir keine neuen MVA in Nordrhein-Westfalen geben.“

Auf bis zu 100 neue Müllöfen hatten Insider und interessierte Kreise den bundesweiten Bedarf Anfang der 90er geschätzt. Die 1993 verabschiedete TaSi versprach ein riesiges Absatzfeld. Doch das UBA bremste Mitte letzten Jahres die Euphorie: Die Experten im Umweltbundesamt ermittelten neben den bestehenden 52 Müllverbrennungsanlagen nur noch einen Bedarf von etwa 25 Neuanlagen für ganz Deutschland.

Diese Zahl beurteilt auch Jörgen Becker als „realistisch“. Er ist Geschäftsbereichsleiter für Abfalltechnik bei der Gummersbacher Steinmüller-Gruppe, die hierzulande zu den führenden Herstellern von MVA mit einem Verbrennungsrost zählt. Becker stimmt auch der UBA-Schätzung zu, daß sich die jährlichen Müllmengen pro Haushalt von derzeit 350 auf 250 Kilogramm senken lassen. Dennoch fürchtet er nicht um weitere Aufträge: „Trotz all dieser Anstrengungen ist in den kommenden Jahren immer noch mit 20 Millionen Tonnen Siedlungsabfall im Jahr zu rechnen – und das bei fast ausgelasteten Deponien.“

Heute werden knapp elf Millionen Tonnen Müll verbrannt. Will man auch den Rest „thermisch behandeln“, sind in der Tat – je nach Anlagengröße – 20 bis 30 neue Müllöfen nötig. Eine schlüsselfertige MVA mit einer Kapazität von 100.000 Jahrestonnen kostet zwischen 200 bis 300 Millionen Mark. Biologische, kalte Verfahren sind wesentlich billiger und zudem umweltfreundlicher, argumentieren diejenigen, die sich für eine Veränderung der TaSi-Kriterien einsetzen.

Machen heute vor allem die MVA-Gegner den Anlagenherstellern zu schaffen, so war es vor vier Jahren das schweizerisch-italienische Unternehmen Thermoselect, das bundesweit von dem Karlsruher Stromkonzern Badenwerk AG protegiert wurde. Geschickt als „Müllwunder vom Lago Maggiore“ vermarktet, suggerierten die Newcomer, daß sie mit ihrem Kombinationsverfahren aus Müllverschwefelung und Hochtemperaturverbrennung die Entstehung von krebserzeugenden Dioxinen und Furanen verhindern könnten. Gleichzeitig versprachen die Thermoselect-Entwickler, die Rückstände auf ein Minimum zu reduzieren – und das alles zum halben Preis.

Bei dem Medienrummel, den die Thermoselect-Macher entfachten, ging fast unter, daß mit der vom Siemens-Bereich Energieerzeugung (KWU) entwickelten Schwel-Brenn-Methode ein ähnliches thermisches Müllverfahren bereits entwickelt war. Zwar überzeugten die Laboranlagen von Thermoselect und KWU die Fachwelt – bewährt haben sich beide Verfahren bis heute jedoch noch nicht im großtechnischen Härtetest. Und die für 100.000-Tonnen ausgelegte KWU-Pilotanlage in Fürth, die zur Jahreswende 96/97 in Betrieb gehen soll, kostet nun auch 250 Millionen Mark – bleibt also im Rahmen der bisher üblichen Marktpreise.

Immerhin aber sorgte damals allein die Ankündigung der neuen Verfahren dafür, daß sich die milliardenschwere Müllbranche mit einem neuen Phänomen konfrontiert sah: Wettbewerb. Die Preise gerieten ins Rutschen. „Wir konnten zum Beispiel bei Ausschreibungen in Deggendorf, Ludwigshafen oder Esslingen genau beobachten, daß die verschiedenen Hersteller versuchten, sich gegenseitig mit Dumpingangeboten zu unterbieten“, erzählt Günter Dehoust, Müllfachmann beim Öko-Institut in Darmstadt. Er prognostiziert denn auch: „Die Anlagen mit den günstigsten Entsorgungskosten setzen sich durch.“ Inzwischen soll an sechs deutschen Standorten die Systementscheidung zugunsten des Brenn- Schwel-Verfahrens getroffen worden sein, vermeldet die KWU.

Verlorene Umsätze wollen die deutschen MVA-Hersteller im Ausland zurückgewinnen. Steinmüller hat schon erste Aufträge aus England und Italien erhalten. Absehbar ist, wo sich alle deutschen Anlagenbauer vor allem tummeln werden: in der südostasiatisch-pazifischen Wachstumsregion. An Japan konnte die KWU bereits die ersten beiden Lizenzen für das Schwel-Brenn-Verfahren verkaufen. So haben die MVA- Hersteller keine Existenzängste, selbst wenn die TaSi nicht zu halten sein sollte. Denn weltweit können sie mit einem Anwachsen der Abfallberge rechnen.