Auch eine Niederlage wäre ein Gewinn

Auch wenn Alexander von Stahl am kommenden Wochenende nicht zum Berliner FDP-Vorsitzenden gewählt wird – sein nationalliberales Trüppchen sieht sich im Aufwind  ■ Aus Berlin Severin Weiland

Im Kreise von Freunden muß sich Jürgen Biederbick in letzter Zeit immer häufiger rechtfertigen. Warum er, ein Mann mit einem ausgeprägten liberalen Rechtsverständnis, überhaupt noch in der FDP sei? In einer Partei, deren Mitglieder nicht nur den Großen Lauschangriff billigen, sondern in der auch ein Rechter wie Alexander von Stahl Berliner Landesvorsitzender werden will?

Das sind Momente, in denen der ehemalige Berliner FDP-Abgeordnete sich fragt, ob es sich überhaupt noch lohnt zu kämpfen. „Ich habe einfach keine Lust mehr, jedesmal erklären zu müssen, daß die Rechten in unserem Landesverband nur eine Minderheit sind.“

Wieder einmal haben die Rechten die öffentliche Aufmerksamkeit geschickt auf sich gelenkt. Seit er seine Kandidatur für den Landesvorsitz erklärte, kann sich der ehemalige Generalbundesanwalt Alexander von Stahl vor Interview-Anfragen kaum noch retten. Dabei glauben noch nicht einmal seine ausgewiesenen Anhänger an seinen Erfolg. Der 32jährige Jurist Markus Roscher, ein emsiger rechter Strippenzieher in FDP-Kreisen, schraubte in der rechten Wochenpostille Junge Freiheit Erwartungen zurück: „Ich bin mir recht sicher, daß Alexander von Stahl einen Achtungserfolg erzielen wird.“ Sollte er ihn erzielen, dürfte von Stahl immerhin der Posten eines stellvertretenden Landesvorsitzenden angetragen werden, denn bislang war es Usus in der FDP, daß Exponenten der Flügel in der Parteispitze vertreten sind.

Der vorläufig noch mediale Erfolg des Juristen ist vor allem der fehlenden personellen Alternative geschuldet. Der Vorsitz der Partei, die bei den Wahlen im Oktober mit Ach und Krach aus dem Berliner Abgeordnetenhaus flog, ist kein attraktiver Posten. Zukräftige Namen sind weit und breit nicht zu sehen. Sowohl der von den Jungen Liberalen präsentierte 30jährige Martin Matz als auch der vom scheidenden Landesvorsitzenden Günter Rexrodt vorgeschlagene Hellmut Königshaus sind außerhalb der FDP völlig unbekannt.

Auch wenn, wie allgemein angenommen wird, das Vorstandsmitglied Königshaus das Rennen macht, hat die Linke in der Berliner FDP damit nur einen Zwischensieg errungen. Die diffuse rechte Gruppe um von Stahl, den Historiker Rainer Zitelmann und Roscher setzt auf einen langfristigen Stimmungsumschwung. Nicht zufällig bewerben sich diesmal gleich mehrere rechte Kandidaten für den neuen Landesvorstand. Für viele in der Berliner FDP ist von Stahl ein Rätsel. Einen Rechten will kaum jemand den Mann mit den höflichen Umgangsformen nennen. Rexrodt spricht lieber vom „Rechtspopulisten“, andere halten ihn schlichtweg für naiv. „Es ist bedauerlich, daß er sich von solchen Dummköpfen einfangen läßt“, meint Ella Barowsky, die „große alte Dame“ der Berliner FDP. Die 84jährige Ehrenvorsitzende, die gleich nach Kriegsende 1945 in die damalige Liberal-Demokratische Partei eintrat, faßt die Befürchtungen vieler ihrer Parteifreunde zusammen: „Herr von Stahl öffnet, ob bewußt oder unbewußt, Kräften die Tür, die mit dem Liberalismus nichts am Hut haben, sondern nur eine Plattform für ihre rechten Ideen suchen.“

In der Tat: Der Mitgliederstand der Berliner FDP sank von über 4.000 nach der Wende auf nunmehr 3.200. Eine kleine Partei, in der die Rechten durch Neueintritte und Mitgliederverschiebungen in der Vergangenheit an Einfluß zu gewinnen versuchten. Ob die Berliner FDP die nächsten vier Jahre überlebt, ist nicht nur von der Bundespartei abhängig. Der Landesverband ist mit mehreren hunderttausend Mark verschuldet, die Parteiarbeit wird stark eingeschränkt werden müssen.

Während die Rechten von der Wiederauferstehung des Nationalliberalismus träumen, sind die Linken zutiefst verunsichert. Viele Mitglieder, so erklärt die frühere Landesvorsitzende Carola von Braun, dächten über einen Austritt nach. Solche Überlegungen hegt auch Michael Tolksdorf, Bezirksvorsitzender von Reinickendorf und einer der schärfsten Widersacher der Rechten: „Welche Partei ist das überhaupt noch? Was machen die da für einen Mist?“ Der Professor tröstet sich mit einem christlichen Prinzip: „Je mehr man engagiert ist, um so mehr leidet man eben auch.“