Gedächtnistheater in Gold

■ Uraufführung der interaktiven Multimedia-Lesung Memory Arena von Arnold Dreyblatt und Fred Pommerehn auf Kampnagel

Eine spielerische Kritik an der kalten Struktur staatlicher Bürokratie, die Simulation der Ankunftssituation von Einwanderern und der assoziative Abstieg in das biografische Höhlensystem der europäischen Gesellschaft verbindet die Theaterinstallation Memory Arena von Arnold Dreyblatt und Fred Pommerehn, die ab heute auf Kampnagel zu begehen ist. Dazu hat Dreyblatt die Kurzbiografien aus dem Who's Who in Central and East Europe 1933 zu einer imaginären Geschichtsreise vernetzt.

In einem großen Archivsaal, der in den Kampnagel-Hallen installiert ist, wird in drei Tagen von insgesamt 480 Personen in einem Lesekraftakt zusammengepuzzelt, was epochenmäßig zusammengehört: Einzelbiographien, sortiert nach Stichworten und Überbegriffen, die eine bewußte Zufälligkeit im Blick auf das Jahrhundert vor dem Bruch im im Jahre 1933 ergeben, werden nicht nur rezitiert sondern gleichzeitig wieder abgeschrieben und in einen Computer eingegeben. Visualisierung der Archivtexte und Musik vervollständigen die Dauerlesung, zu der sich neben vielen Neugierigen eine erlesene Anzahl prominenter Intellektueller und weniger intellektueller Prominenter angesagt haben.

Zu dem Gedächtnistheater, das bereits Vorbilder in der Renaissance hat, wird eine labyrinthische Eingangssituation konstruiert, die die Atmosphäre der Sammelstellen für Einwanderer in den USA transportieren soll. Der ganze Ablauf ist in einer Radikalität durchgeplant, die sich durch optische Befehle (an- und ausgehende Leselampen) vermittelt und den Akt der Verwaltung in einen nahezu maschinellen Kontext überträgt.

Erschaffen wird in diesem Raum, der dem Zuschauer den Zugang zu allen Stellen der Aktion gewährt, eine Art „kollektives Schicksal“. Wobei das Who's Who laut Dreyblatt ähnlich wie die Thora als kanonischer Text behandelt wird, zu dem die Installation (entsprechend dem Talmud zur Thora) die Interpretation schöpft.

Dreyblatt hat Erfahrungen mit diesem Thema, denn er hat seit Jahren nichts anderes gemacht als besagtes Buch in immer neuen Zusammenhängen zu visualisieren. Ob Oper oder Ausstellung, die biographische Archäologie, die jetzt auch als Buch in der Janus Press erschienen ist, hat es dem Allroundkünstler angetan. „Meine Arbeit, die Umstrukturierung dieses Buches, besteht im Suchen und Finden, Kristallisieren oder Destillieren des Materials. Eine Arbeit, vergleichbar mit der Suche nach Gold. Der Wunsch nach Vollständigkeit wird jedoch nie erfüllt.“ Inwieweit Geschichte hier präsent oder beliebig wird, kann erst die erlebte Aktion beweisen.

Till Briegleb

Heute bis Sonnabend, 18. Februar, Kampnagel, Eingang K1, täglich geöffnet von 19.30 bis 23.30 Uhr, eine Mark von jeder Eintrittskarte geht an Hamburg Leuchtfeuer