Wir sind schon toll, wir in Hamburg

■ Oh Alster, Mö und Speicherstadt - gibt es was Schöneres in diesem Universum? Von Per Hinrichs

Aus dem Radio, aus der Zeitung und von Litfaßsäulen erfahren es Hamburger jeden Tag aufs neue: Sie leben in der „schönsten Stadt“, haben „es in der Hand“ und denken in ganzseitigen Bankanzeigen „ganz als Hamburger“. Irgendwann muß man es wohl glauben: Das Zentrum des Universums liegt an der Elbe.

Die quirlige Hamburgerin ist sich ganz sicher. „Hier ziehe ich nicht wieder weg!“, flötet sie von ihrer Wohnzimmer-Couch in der stilvoll eingerichteten Altbauwohnung. Wer zieht denn auch aus Hamburg weg? Gut, sie arbeitete in einem 200 Kilometer entfernten Provinzkaff, weil sie in Hamburg keinen Ausbildungsplatz bekam. Beim ersten Angebot aus der Weltstadt hat sie zugegriffen. „Mann, bin ich froh, daß ich nach dreieinhalb Jahren wieder hier bin.“

Es hat ja auch eine Menge für sich, in HH zu leben. Wo gibt es eine Speicherstadt, die sich majestätisch über den Hafen erhebt? Wo soviele interessante Menschen, Künstler, Journalisten, Geschäftsleute? Und die Reeperbahn, hat die schon mal jemand wo anders gesehen?

Natürlich nicht. Alles einmalig. Frühstücken auf dem Fischmarkt. Spazieren an der Alster. Bummeln auf der Mö. Davor kommt nur noch der Broadway.

Dahinter gibt es eine ganze Menge. Wie zum Beispiel Pinneberg, dieses unschuldige Städtchen an der nordwestlichen Peripherie der Metropole. „Auf das Kennzeichen mußte aufpassen: PI steht für paranoide Idioten“, lacht Wolfgang bei einer Auto-Tour durch die Stadt und lichthupt den unsicher fahrenden Golf vor ihm an. Auch er ein eingefleischter Hamburger. Ein paar Jahre hat er mal in Hannover zugebracht. Eine Stadt, für die der Hanseat an guten Tagen nur ein mildes Lächeln übrig hat. „Keine Seele“, befindet Wolfgang knapp.

Wir sind schon toll. Zwar hat keiner von uns die Speicherstadt mit aufgebaut, und einen Puff in St. Pauli besitzen die wenigsten. Aber Bekannte und Verwandte (wahlweise PI oder H) verdrehen immer wieder schafsköpfig die Augen und blöken bewundernd: „Oh, Hamburg! Da würde ich auch gern leben!“ Prompt schwillt die Brust: Wieder einmal ist die Gleichung „tolle Stadt, toller Typ“ aufgegangen. Und der Ärger über die letzte unverschämte Mieterhöhung ist im Nu verflogen. Und der über die hohen Lebenshaltungskosten. Und der Frust über die Anonymität der Großstadt, die fröstelnde lonely hearts schwermütig an der Alster spazieren läßt und gleichzeitig einen Haufen Therapeuten ernährt.

Aber selbst dagegen hat der Weltbürger schon Rezepte entwickelt. Single-Parties, Kontakt-Anzeigen-Märkte, Telefon-Flirt-Lines. Herz, was willst du mehr?

Auf jeden Fall will es mehr. Es muß noch etwas Größeres gefunden werden, eine bedeutendere Bezeichnung für die schönste Stadt. Weitsichtige Beobachter haben Hamburg schon als den „südlichsten Punkt Skandinaviens“ ausgemacht. Warum denn nicht den westlichsten Mecklenburg-Vorpommerns? Oder wie wär's mit „drittletzte Metropole vor den Alpen“?

Schade, daß Teleskope und Fernrohre nicht allzuweit in den Weltraum hineinreichen. Ein paar andere Welten hätten wir Hamburger zu gerne gesehen, wo es auf unserer doch entweder nur Ballungszentren oder Provinznester gibt. Um dann festzustellen: Alles ganz nett auf Alpha Centauri. Feiner Planet. Aber im Zentrum des Universums lebt sich's doch am besten.