Aus Liebe wird sie Parteimitglied

■ Schmidt: Das Musical „Flora – die rote Gefahr“ spielt tatsächlich unter Kommunisten

Links die Freiheitsstatue vor sternigem Hintergrund, rechts Lenin vor dem letzten Zipfel des US-Banners: der Claim ist abgesteckt; zwischen diesen Koordinaten wird Flora Meszaros sich bewegen müssen. Zwischen diesen Extrempunkten liegt, auf der (von Christoph Ibex Kahlcke gestalteten) Bühne des Schmidt Theaters ihr Lebensraum, ein hoher, grau-grünlicher Raum, dessen Wände an die Warteflure in altmodischen Bezirks- und Sozialämtern erinnern und genau die grundlegende Atmosphäre treffen.

Flora – die rote Gefahr von dem Musicalisten-Duo John Kander und Fred Ebb zwei Jahre vor ihrem Welterfolg Cabaret 1964/65 erdacht, bietet eigentlich keinen Musicalstoff. Dadurch entspricht die Story aber nur dem Geschmack von Kander/Ebb, deren Broadway-Erfolge zwischen Mörderinnen im Frauenknast (Chicago), im präfaschistischen Berlin (Cabaret) oder eben unter Kommunisten spielten – und damit sämtlich Stories lieferten, bei denen sich dem durchschnittlichen amerikanischen Publikum wahrlich die Nackenhaare sträubten.

Flora (Ines Schumacher), 1935 arbeitslos und auf Jobsuche, bewohnt mit zahlreichen Freunden ein großes Atelier. Die bunte Note ist schon deshalb vorgegeben, weil alle unterschiedlichen Tätigkeiten nachgehen – vom Uhrmacher über die Schneiderin bis zum Tanz-Paar. Als sie Harry (Willi Welp) kennenlernt, schlägt Amor seinen Pfeil gleich mitten in ihr Herz, und als sich herausstellt, daß er ein organisierter, hartgesottener (wenn auch stotternder) Kommunist ist, wird sie eben auch Parteimitglied. Daß die noch viel hartgesottenere Charlotte (Annette Fischer) ebenfalls auf den Schüchternen steht, sorgt für die dramaturgisch notwendige Aufregung. Der Clash zwischen Individualismus und Gruppenzwang ist vorbestimmt, und es spricht für die zumindest fürs Musical-Geschäft ungewöhnliche Weltsicht von Kander/Ebb, daß die Liebe hier nicht wie sonst im Genre üblich alle Unterschiede kittet.

Nico Rabenald (Inszenierung und Koproduktion), Steven Gross (musikalische Leitung und Klavier), Christoph Kahlcke (Bild) und Karin Alberti (Kostüme) haben aus dem Depressions-Singspiel ein schnelles Kammermusical für einfachste Mittel gemacht: Hier gelten nur die (guten) Stimmen der Darsteller, die einzig vom Piano, manchmal vom Banjo oder einem Saxophon begleitet werden. Die Sparsamkeit der musikalischen Mittel paßt: Die Atmosphäre ist stimmig, schon weil die Besetzung der Rollen ein Glücksgriff ist. Ines Schumacher als Flora ist (ähnlich wie die Elsa-Darstellerin Barbara Köhler) eine so perfekte Verkörperung einer Frau aus den 30er Jahren, daß sie wie aus einem Film ausgeschnitten wirkt.

Thomas Plaichinger