„Panik macht dumm“

■ Viertel-Bürgermeister Robert Bücking über Verkehrsberuhigung, Kaufleute-Ängste und Ozonloch

Kaum eine Baumaßnahme der letzten Jahre wurde so schnell in Grund und Boden geredet wie die Verkehrsberuhigung im Viertel. Keine Woche nachdem die Säcke von den Schildern genommen worden sind scheint fast schon sicher, daß alles wieder zurückgenommen werden muß, weil vor allem die Viertel-Kaufleute auf die Barrikaden gehen. Wir sprachen mit Ortsamtsleiter Robert Bücking

taz: Wie fühlt man sich denn so zwischen den Stühlen?

Robert Bücking: Man muß versuchen, auf einer Arschbacke zu sitzen. Dann kommt man auch schneller wieder auf die Beine. Ich kann den Leuten ja immer noch erzählen, was ich meine.

Hören die denn noch zu?

In den Diskussionsrunden bin ich mir nicht sicher, ob man die Argumente vom anderen noch wahrnimmt. Ich muß um das Vetrauen der Kaufleute werben – und ihnen gleichzeitig widersprechen. Und ich muß bei all denen, die jetzt sagen „Bücking, bleib hart“, versuchen, zu sagen: Leute, den Einzelhandel dürft Ihr nicht vor die Hunde gehen lassen. Nicht so einfach.

Gehen denn die Kaufleute tatsächlich vor die Hunde? Oder ist das eher Hysterie, so schnell nach Beginn der Maßnahme?

Da tappen wir naturgemäß im Dunkel. Niemand weiß, wie die Sache umsatzmäßig weitergeht. Es gibt Tartarenmeldungen von 50 bis 80 Prozent weniger Umsatz als im Januar 1995, und es gibt etliche, die sagen: normale Verhältnisse. Aber ich beobachte bei manchen Geschäftsleuten auch die offene Panik. Die stehen im Laden und es kommen tagelang nur ein paar Leutchen und kaufen dann auch nur für ein paar Mark. Und jetzt denken sie: Um Gottes Willen, wenn das so bleibt. Dann erinnern sie sich, daß das Weihnachtsgeschäft schlecht war, daß sie im letzten Jahr wegen der Baustelle keinen Überschuß gemacht haben und so weiter.

Das heißt: Die Panik ist echt.

Es gibt 20-30 Prozent der Betriebe, vielleicht neu gegründet, vieleicht uralt, vielleicht ungeschickt geführt, vielleicht im Sortiment in großen Schwierigkeiten – die stellen den Kern der Protestfront...

...die aber viel breiter ist.

Ja. Aber die haben die Mei-nungsführerschaft. Unser Problem ist, daß sich die Kaufmannschaft nicht ausdifferenziert. Man könnte sagen, wir gucken uns genau an, wem es schlecht geht, und wir organisieren für die ganz gezielt Werbung. Oder wir machen Betriebsberatung und sagen: Leute, an Eurem Sortiment müßt Ihr was drehen. Das alles wäre denkbar.

Die Stimmung geht doch über die Kaufmannschaft hinaus. Die meisten im Viertel wollen doch, daß alles so wird wie früher.

Es gibt eine Kritik, die sagt, der Fehler ist, daß es keine richtige Fußgängerzone geworden ist. Dem will ich widersprechen. Fußgängerzonen sind hochspezialisierte Räume, aus denen alle anderen Funktionen ganz schnell verschwinden. Die anderen sagen, wir finden eine Straße schön und romantisch, auf der sich Autos, Fahrräder, Straßenbahnen und Fußgänger wild mischen. Das steht als Bild für richtig große Städte – Paris, London. Da prüft niemand mehr, wer sich aus der Straße zurückzieht oder unter die Räder kommt.

Wir haben uns nämlich entscheiden müssen: Die Straßenbahn sollte störungsfrei durchkommen. 20.000 Fahrgäste, die im Viertel ein- und aussteigen, 30.000, die durchfahren – das ist kein Pappenstiel. Die Frage war dann: Soll der Rest des Straßenraums für Fahrräder oder Autos reserviert werden? Da hat sich die Kommunalpolitik für die Umwelt entschieden. Ein großer Fehler wird jetzt offenkundig: Die Fußwege hätten durchgängig verbreitert werden müssen. Dann gäbe es jetzt das Gejammer über die „Leere“ nicht. Dann hätten die Proportionen der Straßennutzungen wieder gestimmt.

Mit einem bißchen guten Willen könnte man doch da auch jetzt noch was machen: Paletten auslegen und Tische und Stühle oder Warenträer draufstellen, oder man kann sich den längsten Flohmarkt nördlich des Rheins vorstellen. Die Flächen müssen nicht leerbleiben. Wenn ich Kaufmann wäre und hätte was gegen die Verkehrsberuhigung, dann würde ich mir genau übelegen, wie ich den Protest organisiere. Dann würde ich mit meinen Kollegen nicht den schwarzen Sarg durch den Straßenzug tragen, sondern sagen: Wir organisieren auf eigene Faust und ohne Arbeits-, Innen- oder Wirtschaftssenator einen langen Samstag, und zwar in zwei Wochen. Und dann organisieren wir den Winterschlußverkauf auf der Straße. Dann machen wir eine Talk-Show auf dem Ziegenmarkt...

...da wird Bücking eingemacht...

...genau, dem ziehen wir das Fell über die Ohren und beweisen, daß Fußgängerzonen nichts taugen. Aber ich würde doch klar machen, daß das Viertel lebt.

Dabei erinnert doch die Kampagne jetzt an die erfolgreichste Kaufleute-Kampage der letzten Jahre: „Da staut sich was zusammen, lieber Klaus“. Anzeigen im ganzen Umland, daß die Innenstadt nicht mehr errreichbar ist – und siehe da, es ist auch keiner mehr gekommen.

Panik macht dumm. Wir hatten noch keine faire Chance zu beweisen, daß es funktionieren kann. Es gibt niemanden, der die Macht und die Mittel hat, die Alltagsprobleme abzuarbeiten. Wir hatten nicht genügend Zeit, keine Kompensation für die, die es besonders trifft, keine positive Werbung durch einen ganzen Strauß von Einzelmaßnahmen. Dazu gehört eben auch, den Kaufleuten bei den Umstellungsschwierigkeiten zu helfen. Dazu braucht man ein bißchen Geld, kluge Leute und konstruktive Mitarbeit von den Einzelhändlern. Dann kriegen wir den Vogel zum Fliegen. Erst dann hätten wir eine reelle Chance, daß sich alle daran gewöhnen

Mit andern Worten, es sieht ziemlich düster aus.

Na ja, irgendwann ist Mai und 24 Grad im Schatten und Ozonalarm. Soll keiner glauben, daß dann nicht nochmal über dieses Thema geredet wird. Soll doch keiner denken, daß darüber geredet wird, weche Richtung wir genommen haben, als wir die Chance dazu hatten.

Die Verkehrsberuhigung hat nicht sehr klug angefangen. Aber es gibt nunmal das Ozonloch, und es gibt die Klimakatastrophe. Und man muß doch versuchen, im Umkreis seines Lebens daran zu arbeiten, Auswege zu finden. Der hier mag im Detail nicht optimal sein, aber jedes Einzelproblem dazu zu benutzen, das Ganze und die Motive dahinter zu diskreditieren – da ist man nicht gut beraten, da bin ich sicher. Fragen: Jochen Grabler