Menschenhandel mitten in Bremen?

■ Ein polnisch-deutsches Trio soll vier polnische Prostituierte zur Arbeit gezwungen haben

Thedinghauser Straße, Pappelstraße, Westerstraße – gutbütgerliche Wohnstraßen, würden man auf den ersten Blick meinen. Vor dem Bremer Landgericht begann gestern ein auf Wochen angesetztes Strafverfahren, in dem es um Menschenhandel, Zuhälterei und Anstiftung zum Mord in diesen Straßen geht: In angemieteten Wohnungen soll eine 52jährige Polin Bogumila W. zusammen mit ihrer Tochter und deren deutschem Ehemann R. vier Polinnen „zur Prostition gebracht“ haben.

Bogumila W., angeblich der Kopf des Trios, macht eher den Eindruck einer seriösen Geschäftsfrau als die einer Herrin der Unterwelt. In Hof ist sie 1943 geboren, als Kind nach Danzig umgezogen, später nach Hamburg. Zwei Kinder hat sie groß gezogen, der dritte Ehemann habe sie zur Prostitution angestiftet. „Wir hatten kein Geld“, erläuterte sie stockend, und nach Bremen sei sie gefahren, denn „in Hamburg kannte ich zuviele Leute“. Sie habe dann den Kontakt zu ihrem Mann eingestellt, „ich wollte nicht mehr diese Arbeit machen“, erklärt sie der Richterin Robrecht.

In der Akte steht eine andere Geschichte. Kein rührendes deutsch-polnisches Schicksal, sondern knallharrte Zuhälterei: Drei junge Polinnen habe Bogumila W. mit dem Versprechend des großen Geldes durch Prostitution nach Bremen gelockt und hier dann regelrecht ausgenommen, so daß ihnen kaum Geld zum Leben bleib. Eine vierte Polin sei in der Erwartung, sie werde hier als Haushaltsdame arbeiten, angelockt worden. „In Wirklichkeit ging es darum, auch diese Frau zur Prostitution zu bringen. In Bremen konnte sich die völlig hilflose Frau dem Drängen der Angeklagten nicht widersetzen und ging für mehrere Wochen anschaffen“, stellt die Anklage fest.

Auch die 26jährige Tochter der Hauptangeklagten, mit auf der Anklagebank, hat eigene Erfahrungen auf dem Strich: „Einen Monat lang“ habe sie auf der Hohentorsstraße gestanden, sagt sie, „ich wollte Geld verdienen, um mit meinem Kind in Urlaub fahren zu können“. Mit Menschenhandel und Zuhälterei will auch sie nichts zu tun haben.

Sie und ihr Mann, der 12 Jahre bei Daimler gearbeitet hat, haben die Wohnungen in der Thedinghauser Straße, der Pappelstraße und der Westerstraße an die jungen Polinnen, die nur ein Touristenvisum hatten, vermietet. 550 Mark Miete jede Woche für praktisch ein Zimmer kassierten die Eheleute R. laut Mietvertrag von den Prostituierten, in Wahrheit wurde noch mehr abkassiert, jede Woche, haben die Betroffenen vor dem Untersuchungsrichter ausgesagt. Dazu kamen die Kosten für die täglichen Anzeigen – viel sei da nicht übrig geblieben.

Im Dezember 1994 soll das mutmaßliche Zuhälter-Ehepaar auf der Angeklagebank dann einen Albaner beauftragt haben, eine der vier Prostituierten mit einem Sprengsatz zu errmorden. Das jedenfalls sagte der angeheuterte Albaner aus.

Alles erfunden, sagen die Anwälte der drei Angeklagten. In die Akte der Staatsanwaltschaft ist die ganze Menschenhandels-Geschichte auch nicht gekommen, weil eines der vier Opfer geflüchtet wäre oder die Polizei informiert hätte. Im Gegenteil: Das nun des Menschenhandels angeklagte Pärchen hat die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, weil eine der Polinnen ihnen angeblich Geld schuldete und weil es sich durch den Albaner bedroht fühlte. Erst als die polnischen Prostituierten dann als Beschuldigte vernommen wurden, packten sie aus, berichteten von den eindeutig-zweideutigen Mietverhältnissen und drehten Spieß um: Nicht ganz freiwillig lebten sie so in Bremen, gaben sie zu Protokoll, und würden von dem Trio unverhältnismäßig abkassiert. „Ne Menge Widersprüche“ sieht einer der Verteidiger in der Akte, bei deren Aufklärung die Prozeßbeobachter sich noch wundern würden. Wenn das Verfahren überhaupt etwas aufzuklären vermag: „Ich bezweifle, daß auch nur eine von den vier Polinnen zur Zeugenvernehmung kommt“, meinte die Verteidigerin der Hauptbeschuldigten Bogumila W. Und solange spreche unter anderem die Tatsache, daß die vier nach der Verhaftung der angeblichen Menschenhändler im Juni noch „lustig weitergearbeitet haben“ in den angemieteten Wohnungen, gegen den Menschenhandels-Vorwurf der Anklage. K.W.