Hemden, Röcke und ungeliebte Schuhe

Die Tage der Stiftung Kulturfonds sind gezählt: Das Land Sachsen will ausscheiden und seinen Anteil der sächsischen Kulturstiftung einverleiben. Das wäre katastrophal, findet der Kulturfonds-Vater Herbert Schirmer  ■ Von Ulrich Clewing

Seit fünf Jahren fördert die Stiftung Kulturfonds KünstlerInnen aus Berlin und den fünf neuen Bundesländern. Sie unterstützt Projekte in den Bereichen bildende Kunst, Theater, Literatur, Musik und Film, vergibt bis zu einem Jahr dauernde Stipendien und finanziert darüber hinaus Arbeitsaufenthalte in den Künstlerhäusern „Haus Lukas“ in Ahrenshoop an der Ostsee und auf Schloß Wiepersdorf, der „märkischen Villa Massimo“, ehemals Wohnsitz der Dichterin Bettina von Arnim. Keine zwei Monate ist es her, daß ein neuer Staatsvertrag unterschrieben wurde, der die Stiftung dauerhaft sichern sollte. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Tage der Stiftung Kulturfonds, so hat es den Anschein, sind gezählt.

Kurz nach Inkrafttreten des Staatsvertrages machten die Sachsen ernst: Die Dresdner Landesregierung beschloß, zum frühestmöglichen Zeitpunkt – laut Vertrag wäre das der 31. 12. 1997 – aus dem Kulturfonds auszuscheiden. Die Gründe hierfür sind ebenso naheliegend wie eigennützig. Die Dresdner wollen das Geld, das sie in die Stiftung eingebracht haben, künftig für sich allein ausgeben.

Der sächsische Beitrag zum Stiftungskapital, so meint das Dresdner Ministerium für Wissenschaft und Kunst, sei ungleich höher als die Förderung, die in das Land zurückfließe. Klartext: Die Sachsen möchten nicht mehr teilen. Die anderen, schlechter gestellten Bundesländer sollen sehen, wo sie bleiben. Die Regierung Biedenkopf will die 30 Millionen Mark, die Sachsen in den Kulturfonds eingezahlt hat, zurückhaben und der bereits bestehenden sächsischen Kulturstiftung einverleiben.

Als die Stiftung Kulturfonds am 1. Oktober 1990 gegründet wurde, war die Zielsetzung klar: Sie sollte helfen, die „kulturelle Teilung Deutschlands zu überwinden“. Um die an staatliche Versorgung gewöhnten DDR-KünstlerInnen mit der deutsch-deutschen Einigung nicht ins Bodenlose fallen zu lassen, sollten für eine Übergangszeit zusätzliche Fördermittel zur Verfügung stehen.

Die in Berlin beheimatete Stiftung, Rechtsnachfolgerin des Kulturfonds der DDR, wurde seinerzeit mit einem Kapitalstock von satten 92 Millionen Mark ausgestattet. Dazu kommen Immobilien im Wert von rund 10 Millionen Mark. Seither hat die Institution über 2.000 Einzelprojekte unterstützt. Die Stiftung ist bundesweit einzigartig: Keine andere Einrichtung vergleichbarer Größe kümmert sich ausschließlich um die Förderung zeitgenössischer Kunst.

So versuchen die Sachsen auch gar nicht erst, die Verdienste der Stiftung Kulturfonds in Abrede zu stellen. In Dresden wird man nicht müde zu betonen, daß die Notwendigkeit, etwas für die Kultur in den fünf neuen Bundesländern zu tun, „mitnichten“ hinfällig geworden sei. Bloß ist der sächsischen Landesregierung das Hemd näher als der Rock – und das soll auch für die übrigen Bundesländer gelten.

Anstelle des Kulturfonds, so hätten es die Dresdner gern, soll jedes der Länder eine eigene Kulturstiftung ins Leben rufen. Auch hat sich die sächsische Regierung, wohl aus Angst, den schwarzen Peter zu bekommen, bereit erklärt, die Künstlerhäuser Schloß Wiepersdorf und Haus Lukas weiterhin mit zu finanzieren. Totengräber der ostdeutschen Kunstszene zu sein – den Schuh mag man sich offenbar doch nicht anziehen.

Für Herbert Schirmer, Direktor der Burg Beeskow und als letzter Kulturminister der DDR unter Lothar de Maizière einer der Geburtshelfer der Stiftung Kulturfonds, ist die „kleingärtnerische Variante“, die Sachsen anstrebt, allerdings nur die zweitbeste Lösung.

Der Kulturpolitiker, der sich nicht damit abfinden kann, daß es unter den Ländern keine Zusammenarbeit ohne Konkurrenzdenken gibt, sieht hinter dem sächsischen Vorstoß das Schreckgespenst aufziehender Provinzialität. Und das meint in diesem Fall Substanzverlust: Ob die Kulturstiftung in Dresden, die 1996 rund 6 Millionen Mark zu vergeben hat, herausragende und überregional bedeutende Projekte wie beispielsweise die traditionelle Leipziger Dokfilmwoche oder das Festival zeitgenössischer Musik aus eigener Kraft finanzieren könne, sei, so Schirmer, zu bezweifeln.

Zudem sprächen rein rechnerische Argumente für eine Fortführung des Kulturfonds in der bisherigen Form. Je höher das Stiftungskapital, desto ertragreicher die Zinsen, und das ist im Moment wichtiger denn je. Nachdem sich das Bundesinnenministerium Ende 1994 aus der Finanzierung des Kulturfonds verabschiedet hat, verfügt die Stiftung ohnehin nur noch über etwa die Hälfte der ursprünglichen 12 Millionen Mark pro Jahr. Trotzdem hat Schirmer den Mut noch nicht verloren. Bis Dezember 1997 seien noch zwei Jahre Zeit, „vielleicht kommt es ja noch zu einem Umdenken“. Vielleicht.