Wand und Boden
: Das Kind, das Wurm, der Molch

■ Kunst in Berlin jetzt: Alke Brinkmann, Thomas Lange, Lambert Maria Wintersberger, Tobias Hauser

Ernst Thälmanns Kopf glüht orange. Über seinem grün-gelben Hemd trägt Thälmann eine braune Weste. Er sitzt am Tisch und liest in einem vor ihm aufgeschlagenen Buch. Er ist ein toter Mann. Auch Arvid Harnack ist tot und seine Frau Mildred. Ihr Kopf füllt die Hälfte der großen Leinwand aus, und ihrem Körper bleibt nur noch wenig Raum. So scheint er zu mager, zu zierlich, um dieses große, strenge Gesicht zu tragen. Auch Karl Behrens und Hans Coppi sind tot. Alle wurden sie von den Nazis hingerichtet, in Berlin-Plötzensee.

Alke Brinkmanns Porträtserie in der Raab Galerie ist tatsächlich nur „Toten Menschen“ gewidmet. Zwei der porträtierten Frauen sind keine Opfer der Nazi- Diktatur. Clara Immerwahr, promovierte Chemikerin, Tochter eines jüdischen Chemikers und Landwirtes und Ehefrau des Chemikers Fritz Haber, erschoß sich 1915 mit der Dienstwaffe ihres Mannes. Ihr Selbstmord war ein Protest gegen die Wissenschaft, wie sie ihr Mann betrieb: Der Nobelpreisträger für Chemie im Jahr 1918, der Erfinder chemischer Kampfstoffe, darunter Zyklon A, das nur wenig modifiziert als Zyklon B in Auschwitz und anderen Vernichtungslagern eingesetzt wurde. Hella Brinkmann, Mutter der Künstlerin, Ärztin, tätig bei Pro Familia, in der Schwangerschaftsabruch- und Aidsberatung, zunehmend alkohol- und codeinabhängig, nahm sich 1992 das Leben.

Auch darin drückt sich Protest aus. Das deutet die Entwicklung der Serie an, die mit der Auseinandersetzung mit dem Selbstmord der Mutter begann und bei den staatlich angeordneten Morden endet. Protest, der ohnmächtig scheint, weil er in den Tod führte, geben Alke Brinkmanns Bilder Kraft. Denn ihre auf wenige, aber intensive Farben reduzierte, flächige Malerei macht diese Toten den Lebenden ohne große Geste und ohne das Pathos der Denkmalkunst vertraut.

Bis 28. 1., Mo.–Fr. 10–18.30, Do. 10–20.30, Sa. 10–14 bzw. 18 Uhr, Potsdamer Str. 58

Auch Thomas Lange malt tote Menschen: Porträts von Heiligen. Sie wurden von den Zeitgenossen Massaccios und Masolinos dargestellt, als diese die Cappella Brancacci in Florenz mit Fresken ausmalten. Auf 24 Bildquadraten setzt Lange die altehrwürdigen Häupter in die Mitte, auf einen weitgehend einfarbigen Grund. Die in gebrochenem, mehrfarbig schimmerndem Schwarz aufscheinende Zitate übermalt er mit der zarten Umrißlinie eines zweiten Kopfes. Die einzelnen Porträts erinnern an das Schweißtuch der Hl. Veronika, anagrammatisch gesprochen, an das Vera Ikon – das wahre Bild.

Als das gilt heute die Fotografie. Aber Thomas Lange bezweifelt deren Wahrheit des entscheidenden Augenblicks. Ihn interessiert unsere noch immer mögliche Vertrautheit mit diesen Heiligen, die er mit der Umrißlinie der Töpfer benennt, mit denen er in Italien zusammenarbeitet. Auch seine intensiven Farben entlehnt Lange den Fresken und staffelt sie in horizontalen Bändern übereinander. Still und konzentriert durchdringt „Il Santo Momento“, der auch einem großen Ölgemälde den Titel gibt, diese Geometrie: verkörpert in der menschlichen Figur, die das Bild zur Zeitmaschine macht, in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in eins fallen.

Bis 20. 1., Di.–Fr. 13–18.30, Sa., Mo. 11–14 Uhr, Ludwigkirchpl. 6

Kräftig strahlen die Farben auch bei Lambert Maria Wintersberger. Bei einer Serie von „Feuersalamander-Bildern“, die Eva Poll ausstellt, vielleicht nicht weiter verwunderlich. Sein „Salamander Karibisch“ besitzt tatsächlich die Farbigkeit einer kolonialen Cocktailstunde. Andere Bilder zeigen „Riesensalamander“, „Venus Salamander“, „Atlas Salamander“ oder „Das Ei des Salamander“. Dennoch sind seine Visualisierungen nicht so blödsinnig wie diese unschwer endlos weiterzukalauernden Titel-Konstellationen. Eine „Frau mit Salamander“ ist ein durchaus starkes Bild. Die exotische, schwarze Madonna mit dem Salamanderkind im Schoß, beobachtet ihr merkwürdiges Gegenüber mit ernsthaftem Interesse. Ihr scheint das Kind, das Wurm, der Molch vertraut. Eine weitere Variante, „Frau mit Feuersalamander“, versandet allerdings kurzentschlossen in der Untiefe des Lustmolch-Aspekts.

Lambert Maria Winterberger gehörte in den 60er Jahren zur „Selbsthilfegalerie Großgörschen“, in der sich die Berliner „kritischen Realisten“ zusammenfanden, darunter auch Wolfgang Petrick, dessen Meisterschülerin Alke Brinkmann nun ist. Während sie das politische Erbe aufgreift, zieht sich Wintersberger in Erotiknische allegorischer Malerwucht zurück.

Bis 31. 1., Mo. 10–13, Di.–Fr. 11–19, Sa. 11–15 Uhr, Lützowpl. 7

„Das Versteck“ von Tobias Hauser bei Zwinger bedeutet beides: die Nische und das politische Statement. „Ein Jahr Guerilla“ ist auf den Blechkanister geprägt, der zwischen den Holzobjekten steht. Hausers geschnitztes Environment ist ein Basislager in der Sichtweite der Banlieues der Metropole. Zwei überglaste Relieftafeln bilden – niedrig über Eck gehängt – das Panorama, auf dem sie in schwarzer Ferne, hinter dem weißgehöhten Astverhau zu erkennen ist. Davor liegt ein orangefarbener Schlafsack neben einem aufgeständerten Gewehr, dessen Lauf ein Bündel schwarzer Bambusrohre verbirgt. Sein Lauf zielt aber nicht auf die Stadt, sondern auf den Eindringling, den Betrachter. Weißpigmentierte Äste, die auch Knochen erinnern, sollen ihn am weiteren Vordringen hindern.

„Alle lassen sich mit allen Falschen ein“ lautet ein weiterer Satz auf dem Zündstoffkanister. Deshalb bleibt Hauser der Einzelgänger, nomadisch beweglich, in Beobachternähe des Zentrums. Er ist seiner Umgebung nicht schutzlos preisgegeben. Mit seiner immer feiner gearbeiteten Schnitzkunst nimmt er den Besucher ins Visier. Und dieser fühlt sich durchaus getroffen.

Bis 31. 1., Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–14 Uhr, Dresdener Straße 125. Brigitte Werneburg