Die Häuser denen, die drin wohnen?

■ In Ost- und Westberlin wollen Mieter die Genossenschaftsidee wiederbeleben. Die Benachteiligung gegenüber anderen Wohneigentumsformen ist jedoch verheerend

Fünfzehn Prozent ihres Wohnungsbestandes müssen die Ostberliner Wohnungsunternehmen bis zum Jahr 2003 privatisieren, damit der Bund ihnen bis zu 50 Prozent der sogenannten Altschulden aus DDR-Zeiten erläßt. Dabei gilt, je schneller die Wohnungen privatisiert werden, desto mehr Altschulden werden erlassen. Doch die Mieter zögern, kaum mehr als fünf Prozent sind bereit, ihre Wohnungen zu kaufen.

Neben dem Verkauf an Zwischenerwerber, die die Wohnungen modernisieren, wird von den Wohnungsunternehmen die Gründung von Genossenschaften erwogen. Auch in Westberlin wird die Genossenschaftsidee derzeit wiederbelebt. Am Klausener Platz in Charlottenburg oder am Chamissoplatz haben sich Mieterinitiativen zusammengefunden, die eine Genossenschaft gründen wollen, um ihre Wohnungen nach dem Auslaufen der behutsamen Stadterneuerung vor dem Aufkauf durch Spekulanten zu bewahren.

72 Wohnungsbaugenossenschaften mit insgesamt rund 180.000 Wohnungen gibt es derzeit. Die größte ist die „Wohnungsbaugenossenschaft Lichtenberg“ mit über 10.000 Wohnungen, die kleinste ist die Selbstbaugenossenschaft Berlin e.G., die in zwei Häusern in Kreuzberg und Weißensee 100 Wohnungen besitzt. Für Joachim Brandl, den Vorsitzenden der Selbstbaugenossenschaft Berlin, liegen die Vorteile von Genossenschaften auf der Hand: „Die Wohnungen sind sicher, die Mieter besitzen ein Dauerwohnrecht und die Wohnungen sind auf Dauer preiswerter.“ Zwar seien die finanziellen Belastungen zunächst höher, bereits nach fünf bis sechs Jahren jedoch könne sich das Engagement auszahlen, denn „Genossenschaften streben nicht nach Gewinn, sondern arbeiten nach dem Kostendeckungsprinzip“. Darüber hinaus hätten die Genossen ein starkes Mitbestimmungsrecht.

Erstmals können Genossenschaftsanteile bei einer Neugründung seit 1. Januar sogar von der Steuer abgesetzt werden. Doch die Benachteiligung gegenüber anderen Wohneigentumsformen ist eklatant. Während die Käufer von Eigentumswohnungen über 8 Jahre jährlich 5–6 Prozent der gesamten Kaufsumme von der Steuer absetzen können, sind es bei Genossenschaften lediglich 3 Prozent auf den Genossenschaftsanteil, der selten viel mehr als 10.000 Mark betragen wird.

Auch die Vergabe von Fördermitteln durch den Senat ist kaum auf die Belange von genossenschaftswilligen Mietern zugeschnitten. Denn erst, wenn sie ein Haus erworben haben oder verfügungsberechtigt sind, also vom Senator für Finanzen zum gesetzlichen Vertreter bestimmt wurden, können sie Fördermittel beantragen. Genossen müssen also erst ins kalte Wasser springen und sehen dann möglicherweise alt aus, wenn angesichts knapper öffentlicher Kassen die Fördermittel bereits ausgeschöpft sind.

Dementsprechend rät Frank Maciejewski vom Berliner Mieterverein zur Zurückhaltung. „Die guten Erfahrungen, die in den achtziger Jahren in Kreuzberg mit der Gründung von Genossenschaften gemacht wurden, können nicht auf die Großsiedlungen Ostberlins übertragen werden.“ Voraussetzung sei in jedem Fall ein positiver Bezug der Mieter auf den Genossenschaftsgedanken, denn „ohne überzeugte Genossen funktioniert keine Genossenschaft“.

Angesichts der Privatisierungswelle im Osten warnt Maciejewski vor der Illusion, Mieter könnten sich auf dem Weg über die Gründung einer Genossenschaft Sicherheit erkaufen. Die wirtschaftlichen Vorteile lägen nicht von vornherein auf der Hand, zumal in den Plattenbausiedlungen auf absehbare Zeit „kein Markt für Spekulanten“ entstehen werde. In jedem Einzelfall müsse der Umwandlung eine genaue unabhängige Beratung über die betriebswirtschaftlichen Konsequenzen sowie über die Satzung der Genossenschaft vorausgehen.

Nicht immer allerdings muß es die Genossenschaftsneugründung sein. Als die Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land den Mietern eines Hauses in Treptow kürzlich die Privatisierung ihrer Wohnungen ankündigte, suchten diese sich eine kleine Westberliner Genossenschaft, die das Haus daraufhin kaufte. Christoph Seils