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"Sie dichtet? Fatal!"

■ Hermlin meets Hölderlin, Wolf goes Günderode: Die Hörspielreihe "PoetenPoeten" des Kölner Deutschlandfunk

Neben all ihren tieferen Qualitäten erweitert die Hörspielreihe auch eine alte Binsenweisheit: „Sage mir, über wen du schreibst, und ich errate, wer du bist, woher du kommst und was du sagen willst.“ Vielleicht war auch ein bißchen Unmut mit im Spiel, als Elisabeth Panknin ihre deutsch-deutsche Reihe konzipierte: Unmut über die mangelnden Umgangsformen auf unserem literarischen Parkett. Denn diese Hörspielparade führt Schriftsteller vor, die kenntnisreich, intelligent und auf Verständigung pochend so einiges aus ihrem Dichtervorbild herauskitzeln. Stefan Hermlin oder Christa Wolf zum Beispiel suchen in „Scardanelli“ und „Kein Ort. Nirgends“ Anschluß an idealistische Außenseiter des 18. und 19. Jahrhunderts. Wobei sich für junge Westohren auf den ersten Eindruck gar nicht erschließt, daß gerade die stark nach Sozialismus schmeckenden Ideale der Günderode, Hölderlins oder Kleists den realexistierenden DDR-Alltag öffentlich anklagten.

„Scardanelli“ mit seiner berührenden Mischung aus Hölderlins radikalsubjektiven Briefen, zeitgenössischen Dokumenten und Hermlins Assoziationen war 1970 zwar der längst fällige Schlüssel zur Hörspielcollage. Die Kritik reagierte aber mit erschrockem Schweigen. Christa Wolfs Annäherung an das Outsiderduo Kleist/ Günderode wurde in ihrem Staat gar nicht erst gesendet.

Auch Stasi-Opfer Günter Kunert hielt seiner Regierung 1972 mit „Ehrenhändel“ den Spiegel der uneingelösten Utopie vor. Er wählte den zeitlebens in Preußen verkannten und in der DDR gefeierten Heinrich Heine zum Dichterbruder. Diese Form der Annäherung an Literatur als Krücke oder bloßes Sprachrohr zu bezeichnen, wäre allerdings ungerecht. Die Stücke sind selbständige Werke, die über Zeiten und Mauern hinweg ein gültiges, menschliches Bild entwerfen: von der Verletzlichkeit des Ehrlichen, vom Scheitern der IdealistIn und von den Behinderungen selbst durch Gesinnungsgenossen: „Sie dichtet“, denkt Kleist über die Günderode. „Fatal! Hat sie das nötig?“

Während der hier präsentierte Osten seine Fundstücke in schlicht verständliche Hörspielsprache kleidete, grub man im Westen nach zeitgemäßen Ausdrucksformen. Denn wo die Welt als polyphones Fragmentenchaos unleugbar existiert, erfinden die Dichter hierzu die Sprachbilder. Dafür werden Traditionen und Vorbilder gesucht, in die sich die KünstlerInnen vertiefen, ohne ins Plagiat abzusacken. John Cage – als Gast in dieser deutschen Reihe – präsentiert mit „Roaratorio. Ein irischer Zirkus über Finnegans Wake“ seine Variante einer universalen Laut- und Pausensprache als Hommage an James Joyce. Heiner Goebbels komponiert einen rappigen Soundtrack zu Heiner Müllers Text „Maelstromsüdpol“, für den wiederum Edgar Allan Poes „Gordon Pym“ den Zündstoff gab. Simone Schneiders Text „das gebet der stunde“ – ein szenisches Gedicht für den Expressionisten Franz Jung – ist eine atemberaubende Hörcollage. Zu den vielen Hörspiel-Klassikern gibt's im übrigen noch Kultur- und Rezeptionsgeschichte nebenher. Gaby Hertel

Vom 13. Januar bis 23. März in lockerer Folge, jeweils Di. und Sa.

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