Richtige Mannsbilder

Wunderbar verschlampt: Frank Castorf inszeniert Bertolt Brechts „Puntila“ in Hamburg als pralle Gesellschaftskomödie und Sexualsatire  ■ Von Sabine Seifert

Es gibt Regisseure, die liefern zuverlässig. Man schätzt ihr Handwerk, ist selten übermäßig enttäuscht und wird nie wirklich überrascht. Dann gibt es die Stümper und Langeweiler, die sich selbst viel zu ernst = wichtig nehmen. Und es gibt den Probierertyp, der nur den Ernst des Spiels gelten läßt. Da mag häufig Unfertiges, Belangloses herauskommen. Ich muß bekennen: Solche Regisseure sind mir trotzdem immer noch die liebsten. Solche, bei denen zwischen Dumme-Jungens- und Geniestreichen alles drin ist. Aber oft ärgere ich mich auch, und besonders häufig geärgert habe ich mich in letzter Zeit über Frank Castorf – mit einer Ausnahme: seiner Jelinek-Zuspitzung der „Raststätte oder Sie machen's alle“, die er am Hamburger Schauspielhaus herausgebracht hat. Vielleicht tut es ihm ja gut, fern der Berliner Volksbühne zu arbeiten. Denn jetzt hat Castorf in Hamburg einen Brechtschen „Puntila“ inszeniert, der konzentriert und komisch, melancholisch, aber nicht sentimental, nostalgisch, aber nicht ohne Selbstironie ist. Castorf hat diesmal darauf verzichtet, der dramatischen Vorlage fremde Texte (möglichst französischer Philosophen) zu implantieren.

Die Komödie entstand 1940 im finnischen Exil – nach einer Stückvorlage von Brechts Gastgeberin Hella Wuolijoki. Aber schon Charlie Chaplin hatte das „Puntila“-Thema einmal durchgespielt: Er, der arme Tropf, trifft in „City Lights“ einen Millionär, der nur im Suff nett sein kann, ihn einlädt, beschenkt und so weiter, aber immer, wenn er wieder nüchtern ist, ihn nicht mehr erkennt. Aus diesen wechselnden Gemütszuständen betrunken – nüchtern, Mensch – Scheusal, bezieht auch Brechts „Puntila“ seine komischen Seiten – dialektisch gewendet. Meist wird Matti als der eigentlich Überlegene dargestellt: Peter René Lüdicke spielt ihn in der Hamburger Inszenierung zunächst als smarten Jungen mit Drahtbrille und abgewetzter Proletenlederjacke, ein Chauffeur, der sich mit Puntila auf dem Gesindemarkt umschaut wie ein Regieassistent beim Casting. Im Verlauf des Stücks verliert sich seine zur Schau gestellte Selbstsicherheit und Männlichkeit, je mehr er von Puntila und seiner Tochter Eva verunsichert wird. Herr braucht Knecht und Knecht braucht Herrn – das Abhängigkeitsverhältnis ist wechselseitig. Für Frauen ist da eigentlich kein Raum. Matti weiß kaum, wie er mit der Gutsbesitzertochter umgehen soll. So muß diese schließlich um seine Hand anhalten – zweimal vergeblich. Als sie mit ihm redet, steht er breitbeinig vor ihr, die Hände in den Hosentaschen. Bloß keine Berührung. Als sie sich zurückfallen läßt, ist er gezwungen, die eine Hand zögerlich herauszuziehen, um sie aufzufangen. Dann erst traut er sich, auch den anderen Arm zu ergreifen und ein paar Tanzschritte mit ihr zu wagen. Bei Brecht bleibt die nicht zustande kommende Affäre ein Nebenstrang der Handlung. Eva (Annelore Sarbach) singt mädchenhaft ein Liebeschanson und geht ab.

Bühnenbildner Hartmut Meyer hat schon in Anklamer Tagen mit Frank Castorf zusammengearbeitet, unter anderem die Bühne entworfen für Brechts „Trommeln in der Nacht“, das 1984 nach der Generalprobe abgesetzt wurde. Sein Bühnenbild ist bestechend einfach, ein Muster an Abstraktion. Requisiten gibt es außer ein paar Heubündeln und den unvermeidlichen Eimern (Vater Castorf ist bekanntlich Eisenhändler), die in der finnischen Badehütte Verwendung finden, kaum welche. Die Bühne: eine futuristische Bretterburg, zu der eine Schräge mit einem krönenden Halbrund heraufführt. Die einzelnen Bühnenbildsegmente werden verschiedenfarbig beleuchtet und können verschoben werden: Raumkompositionen, die an de Chirico und Malewitsch zugleich erinnern. Die Wand kann sich zum rot erleuchteten Schlund öffnen, in dem Puntila watet beziehungsweise buchstäblich in Frauen badet. Was für Frauen! Richtige Mannsbilder! Castorf kostet diese Szene, in der Puntilas Gier (wunderbar verschlampt und verschludert: Michael Wittenborn) mit einem Frauenbein spazieren- beziehungsweise vorgeführt wird, als Klamotte aus. Die frischen Mädels, die bei Brecht aus dem Leben der arbeitenden Landbevölkerung berichten sollen, werden zu Weibchen mit piepsiger Stimme, die beharrlich auf roten Stöckelschuhen zu balancieren versuchen. Brechts deftige Lieder („Am besten fickt man erst und badet dann“) werden unflätig garniert („Aufwärts und nicht vergessen“, flachst Matti), die Gesellschaftskomödie wird zur Sexualsatire.

Eine schöne Szene gibt es noch, als am Schluß der Puntila den Matti fragt, ob er denn anständig ficken könne. Worauf dieser mit der Gutsangestellten Fina (Bettina Engelhardt) umständlich auf einem Podest aus aufeinander getürmten Tischen Position bezieht, um dann hinter vorgehaltenem Zeitungspapier zu vögeln. Das erscheint ziemlich kompliziert. Tom Waits' „I'm guilty“ grölt der versoffene Puntila; Ton Steine Scherbens „Sklavenhändler, hast du Arbeit für mich“, singt ein Mädchen auf dem Gesindemarkt, als gelte es, im FDJ-Talenteschuppen zu gewinnen; „With a little help from my friends“ von den Beatles schmettert der über beide Ohren verschuldete Attaché (Josef Ostendorf), der von Eva verständlicherweise verschmäht wird – und immer wieder die Beatles: „Back in the USSR“. Kondolenzadressen an die sozialistischen Utopien und die eigene DDR-Vergangenheit. In Hamburg wirkt das frischer als an der Volksbühne daheim. Die Internationale geht in „All you need is love“ über – auch ein Castorf braucht mal ein Streicheln über den Kopf, irgendeine kleine Gunstbezeugung. Bitte sehr.

Schauspielhaus Hamburg. Nächste Vorstellungen: 17. 1., 24. 1., 25. 1., 31. 1., 1. 2., 9. 2., 14. 2.