■ DGB-Chef Schulte zum Beschäftigungspakt: „Beide Seiten müssen ja gegenüber ihrer eigenen Klientel dastehen“
: Kompromiß ist vorstellbar

taz: Herr Schulte, im Oktober 1994 waren sie für die 25-Stunden-Woche im Jahre 2010. Dann plädierten sie für die Viertagewoche und forderten beim „Zukunftsgipfel“ im Januar 1995 mehr Teilzeitjobs. Die Gespräche brachten kaum Ergebnisse. Was soll uns hoffen machen, daß es mit dem „Bündnis für Arbeit“ beim Kanzlergespräch am 23. Januar anders läuft?

Dieter Schulte: Der 23. Januar wird wiederum nur eine Zwischenetappe sein. Es wird am 23. Januar nicht den großen Wurf geben. Entscheidend ist, daß allen Beteiligten klar ist: Sie müssen ihren Beitrag leisten, weil wir sonst weiterhin vier Millionen Arbeitslose haben werden.

Wenn man sich das Geplänkel der Tarifpartner in der Metallbranche um den Zwickel-Vorschlag anhört, erinnert das an ein Kinderspiel: Keiner will zuerst eine Murmel hergeben. Immer soll der andere anfangen.

Das ist nicht nur eine Eigenart von Kindern, sondern mit Sicherheit manchmal auch von Tarifpartnern. Ich habe so viele Tarifverhandlungen mitgemacht, wenn man da in den ersten drei, vier Verhandlungen versucht hätte, zu einem Ergebnis zu kommen, wäre das als Schwäche ausgelegt worden.

Nun fordert der DGB konkret eine Vereinbarung, nach der Überstunden beispielsweise innerhalb eines Jahres nur noch in Freizeit ausgeglichen werden sollen. Für die freiwerdenden Kapazitäten müßten die Arbeitgeber mehr Leute beschäftigen. Wie verbindlich kann eine solche Absprache überhaupt sein?

Es wird in dieser Angelegenheit mehr Verbindlichkeit geben müssen. Es können Tarifverträge abgeschlossen werden, wo man sagt, Mehrarbeit muß innerhalb eines Zeitkorridors von einem Jahr in Freizeit ausgeglichen werden.

Die Arbeitgeber bezeichnen dies als Überstundenverbot. In der Metallbranche gibt es Tarifverträge, nach denen Überstunden immerhin ab der sechzehnten Stunde im Monat in Freizeit ausgeglichen werden sollen. Wäre im „Bündnis für Arbeit“ ein branchenübergreifender Kompromiß denkbar, wo es dann heißt, beispielsweise ab der zehnten Überstunde im Monat ist Freizeitausgleich zwingend?

Das schließe ich nicht aus. Beide Seiten müssen ja auch irgendwie ein Stück weit gegenüber ihrer eigenen Klientel dastehen.

Wer aber garantiert, daß die Unternehmer dann tatsächlich mehr Leute beschäftigen?

Es ist die logische Konsequenz, wenn ich einen Zeitkorridor für ein Jahr einrichte und die Mehrarbeit in Freizeit abzugelten ist. Dann muß der Unternehmer, wenn die Leute frei bekommen, entweder die Produktion stoppen oder Neueinstellungen vornehmen.

Die meisten Leute arbeiten in kleinen oder mittelständischen Betrieben. Die Unternehmer dort sagen: Wir können die Überstunden von dutzenden verschieden qualifzierten Leute nicht durch Neueinstellungen ausgleichen, das funktioniert nicht.

Ich brauche ja nicht allen Mitarbeitern die Mehrarbeitsstunden zum Jahresende freizugeben. Da beginnt die Gruppe Y im August, die Gruppe X im September, ihre Überstunden abzufeiern. Die Gruppe X könnte dann während des Abfeierns beispielsweise ersetzt werden durch eine qualifizierte Gruppe Z von zehn oder fünfzehn befristet beschäftigten Leuten. Die Arbeitgeber erklären unseren Vorschlag für nicht praktikabel. In Wirklichkeit fürchten sie aber die Konsequenz, die Neueinstellungen. Für die Arbeitgeber ist es immer noch günstiger, nur 200 Leute zu beschäftigen als 210. Mit der Mehrarbeit kann ein Unternehmer immer noch leichter operieren als mit Leuten, die er in seinem Betrieb neu beschäftigen muß.

Auf betrieblicher Ebene gibt es doch solche Arbeitszeitkonten längst. Bei Borsig in Berlin wurde neu eingestellt, weil in einem Jahr 34.000 Überstunden aufgelaufen waren und abgefeiert werden müssen. Laufen Sie mit Ihrer Initiative nicht der Wirklichkeit in den Betrieben hinterher?

Wir haben doch auch früher davon gelebt und werden auch künftig davon leben, Veränderungen, die sich in den Betrieben ergeben, aufzunehmen und zu reflektieren über die Politik der Gewerkschaften. Es ist ja auch meine These, daß wir uns bei der zukünftigen Gestaltung von Tarifverträgen stärker auf die Beschreibung von Eckdaten beziehen müssen. Ob das Arbeitszeitregelungen betrifft oder sonstige Rahmenbedingungen.

Sie müßten doch eigentlich großes Verständnis für individuelle betriebliche Situationen aufbringen. Sie selbst sind ja auch Vorsitzender eines Tendenzbetriebs, der gegenwärtig Nullrunden fährt, weil das Geld knapp wird.

Ob ich Dinge nachvollziehen kann, ist die eine Frage, die andere ist, welche Konsequenz ich in meinem persönlichen Handeln daraus ziehe. In den Unternehmen sind Betriebsräte und Belegschaften hautnah betroffen. Ich verstehe auch, daß sie, wenn sie existentielle Ängste haben, bereit sind, die eine oder andere Sache aufzugeben.

Betriebliche Alleingänge schwächen die Position der Gewerkschaften. Sie hatten auch letztes Jahr wieder Mitgliederrückgänge außer bei der Polizeigewerkschaft...

Die haben eine sehr gute Mitgliederwerbekampagne gemacht.

...und der Anteil der jungen Mitglieder unter 25 Jahren ist von 17 Prozent im Jahr 1979 auf heute nur noch 9,6 Prozent zurückgegangen. Warum treten junge ArbeitnehmerInnen nicht mehr in die Gewerkschaft ein?

Wenn es uns jetzt nicht gelingt, junge Menschen für die Gewerkschaftsarbeit zu interessieren, dann brauchen wir uns in zehn Jahren nicht mehr über die Mitglieder zu unterhalten. Das Problem, das wir als Gewerkschaften haben, ist, daß wir auf die Fragen der Jugend keine Antwort haben. Das sind Fragen nach der Ausbildung, nach dem Arbeitsplatz. Die Fragen werden uns jetzt gestellt. Nur in dem Umfang, wie es uns gelingt, jetzt als Gewerkschaften als einer der in der Bundesrepublik entscheidenden Faktoren für zukünftige Beschäftigung und Sicherheit zu dienen, finden wir wieder Glaubwürdigkeit bei den jungen Leuten.

Sie sagten einmal auf die Frage nach Ihrer Lieblingsbeschäftigung: „Auf jeden Fall befristet“. Gilt das auch für Ihren derzeitigen Job?

Aber selbstverständlich, den werde ich erst mal bis zum nächsten Kongress 1998 machen, dann haben Kollegen im Wahlkörper zu entscheiden ob sie mich weiter haben wollen oder nicht.

Interview: Barbara Dribbusch