„Dem Balkan immer Frieden gebracht“

Die ersten von 1.500 russischen Mitgliedern der Internationalen Friedenstruppe für Bosnien sind in Tuzla eingetroffen. Von den Vorbereitungen in Rußland für den Einsatz berichtet  ■ aus Kostroma Klaus-Helge Donath

„Wie stehts mit der Gesundheit?“ erkundigt sich der Inspekteur, ein Oberstleutnant. „Ausgezeichnet“, antwortet Sergeant Gulijew, ohne bei zwanzig Grad minus im Freien die Miene zu verziehen. „In Tschetschenien gewesen?“ möchte der Vorgesetzte noch wissen. „Jawoll!“ bestätigt Gulijew zackig, wie sichs gehört. 26mal hat er dort Wache geschoben und mehrfach Feindberührung gehabt.

Der Inspekteur scheint zufrieden. Gulijew fühlt sich der kommenden Aufgabe auch gewachsen. „Sehr gut, sehr gut“, brummt der Offizier schon halb im Weitergehen. Die Unterweisungen des russischen Truppenkontingents für die Friedensmission auf dem Balkan – die ersten Fallschirmjäger sind am Freitag in Tuzla eingetroffen – laufen auf Hochtouren. In Kostroma am Oberlauf der Wolga, rund 350 Kilometer nördlich Moskaus, erhält die 1.500 Mann starke Brigade, zusammengestellt aus Soldaten der 98. Luftlandedivision, ihren letzten Schliff.

Generalleutnant Wjatscheslaw Chalilow nimmt auf dem Exerzierplatz der Kaserne unter Klängen einer Militärkapelle die Parade ab. Ihm folgt im Stechschritt Oberst Alexander Lenzow, der den Einsatz in Brcko und Zvornik leiten wird. Lenzow bringt reichhaltige Erfahrungen aus Krisengebieten mit: Als einer der ersten ging er 1979 nach Afghanistan, danach verdiente er seine Sporen in Einsätzen in Mittelasien, Georgien und im Nordkaukasus. Allesamt Missionen, die den Abfall der ehemaligen Sowjetrepubliken von Moskau verhindern sollten, statt dessen aber nur blutig endeten.

Lenzow erteilt den Gruppenführern Order, aus dem Glied zu treten. Was da vor den Augen schwankt, gleicht einer Schlangenlinie. Einige bemerken es noch – hopsen zurück, während sich die Mannschaften das Lachen nicht verkneifen können. Eigentlich geht es erfreulich ungezwungen zu. Der russischen Armee eilte nie der Ruf voraus, ihre Gemeinen nachsichtig zu behandeln.

Kostroma liefert denn auch eher den Beweis mangelhafter Ausbildung, die sich im Ernstfall rächen wird. Chalilow behauptet dennoch, 31 Prozent der Männer hätten Kampferfahrungen. Gezielt erprobte Leute hätten sie ausgewählt, da auf dem Balkan mit Schwierigkeiten zu rechnen sei: „Dort wird geschossen, das ist sicher.“ Deswegen schickt Moskau angeblich keine Einheiten, die in Abchasien und Südossetien Erfolge als Friedensstifter vorweisen können. Die Akkuratesse der Roten Armee liegt Dienstgenerationen zurück. Dabei gelten die Fallschirmspringer in Kostroma noch immer als Elitetruppe.

Sie erhielten für ihren Bosnieneinsatz neue Uniformen, der Fuhrpark – etwas altersschwach – immerhin neue Bereifung. Allerdings gelang es der Armeeführung noch nicht, einheitliche Stiefel und Handschuhe aufzutreiben.

Letzte Woche segnete der Föderationsrat, das Oberhaus des russischen Parlaments, die von Präsident Jelzin verfügte Truppenentsendung endgültig ab. Gemäß der Verfassung obliegt es dem Oberhaus als letzter Instanz, über Armee-Einsätze im Ausland zu entscheiden. Die Frage der Finanzierung steht indes noch aus. Um die verantwortlichen Stellen auf Trab zu bringen und Gelder zu bewilligen, gab Luftwaffengeneral Jewgeni Podkolzin zu bedenken: „Nicht das Verteidigungsministerium braucht diese Operation, sondern Rußland als europäischer Staat. Doch läßt die gesamte Unternehmung die Mißstände erkennen, an denen Rußland krankt. Guter Wille reicht nicht. Der beinah zwanghafte Wunsch, in vorderster Front mitzumischen, beißt sich mit dem augenfälligen Mangel an Mitteln, der sich nicht mal mehr unter Aufbietung aller Kräfte kaschieren läßt.

Ursprünglich hatte Moskau ein Kontingent von 20.000 Mann versprochen und verlangte ein rotierendes Kommando zwischen ihm und der Nato. All das verschwand vom Tisch, seitdem sich abzeichnete, daß ohne UNO-Mandat der Kreml für seine Emissäre allein aufzukommen habe. Schließlich akzeptierte Moskau auch die weiche Formel, die die Unterstellung der Russen unter Natobefehl vernebelt. Chalilow fürchtet indes keine Zweideutigkeit: „Russische Soldaten werden russischen Kommandeuren dienen.“

Neben den 1.500 Brigadisten hält sich noch eine 500 Mann starke Reserve bereit. Laut Verteidigungsministerium sollen vom mitreisenden Offiziersstab 30 Prozent „durch die Straßen Afghanistans gelaufen“ und fast zwei Drittel im Tschetschenienkrieg gewesen sein. Die einfachen Soldaten wirken hingegen unerfahren. Der neunzehnjährige Pawel hat ein Jahr gedient, bevor sich der Junge aus Baschkirien für sechs Monate verpflichtete.

Will er dahin? „Natürlich“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. Weiß er, worauf er sich einläßt? Mit der politischen Lage im Konfliktgebiet hat er sich nicht befaßt, wie die meisten Befragten ungeachtet ihres Ranges. Unterweisung fand nicht statt. Pawel, scheint es, will der Tristesse des Kasernenalltags entkommen, um wenigstens auf diesem Weg einmal die Fremde zu sehen. Dem freundlichen Milchgesicht neben ihm geht es ähnlich. Beide haben einen Vertrag, doch wieviel sie verdienen, wissen sie nicht. „Auf jeden Fall mehr als hier“, sagt er. Es gab viele Bewerber, „alle wollten dahin“. Nach welchen Kriterien ausgesucht wurde, bleibt im dunkeln.

Seinen ersten Auslandsaufenthalt verbringt auch Oberleutnant Karpuitschew auf diese Weise. Er hatte freilich keine Wahl und fährt auf Befehl. Der 23jährige beschreibt seine Aufgabe in Bosnien vorsichtig im Rahmen der offiziellen Version: „Unsere Rolle wird sein, die verfeindeten Seiten auseinanderzuhalten.“ Wessen Befehle er befolgt, bereitet ihm kein Kopfzerbrechen. Er nimmt es eher humorvoll. „Mögen die Amerikaner befehlen, ich versteh' gar kein Englisch.“

Ob orthodoxe Christen oder Muslime, Unterschiede werde er wohl nicht machen, vermutet er. Anders als ein Unteroffizier, der in Tschetschenien zwei Freunde verlor. Seine Sympathien liegen eher bei den Serben. Allerdings läßt sich in Kostroma nur wenig spüren von jener „traditionellen Verbundenheit“ der Russen mit ihren „serbischen Brüdern“, wie es eine zeitlang die Propaganda wollte, und wie es General Chalilow zum Abschluß seinen Untergebenen mit auf die Reise schickt: „Vergessen Sie nie, Sie sind Vertreter Rußlands, das auf dem Balkan immer Frieden gebracht hat.“ Das entspricht zwar nicht ganz der historischen Wahrheit, doch als eine Verhaltensmaxime für die Truppe läßt sich diese kleine Ungenauigkeit rechtfertigen.