Novum Große Koalition

■ Berliner SPD und CDU verschieben die Probleme

Drei Monate lang haben CDU und SPD sondiert, schließlich verhandelt, um in Berlin die Große Koalition fortzusetzen. Als bedürfte es noch eines Beispiels, daß dieses Regierungsmodell mehr denn je gesellschaftspolitischer Stillstand bedeutet, wurde gestern eine Koalitionsvereinbarung vorgelegt, die minimalistischer nicht hätte ausfallen können. Sie spricht den Problemen, die in der Hauptstadt zu lösen sind, geradezu Hohn. Denn wie in keinem anderen Land ist in Berlin in den kommenden Jahren die Schuldenreduzierung angesagt. 23 Milliarden Mark müssen bis 1999 eingespart werden, allein vier werden es im Personalbereich sein. Wie dieses Loch gestopft werden kann, ohne die Netto-Neuverschuldung unverantwortlich hochzutreiben, wurde einer künftigen Koalitionsarbeitsgruppe übertragen.

So dünn das Ergebnis ist, so wenig überraschend fiel es doch aus. Mehr als einmal wurde man während der vergangenen Wochen den Eindruck nicht los, einer Gespensterrunde beizuwohnen. Vom Wunsch, wieder zu koalieren, waren beide Parteien angetan, die SPD schien schon vor der Wahl am 22. Oktober davon geradezu beseelt zu sein. Der Aufschrei, der nach dem 23-Prozent-Desaster folgte, entsprach dem Zustand der Partei: Laut, schrill, aber schließlich doch folgenlos. Am Ende fügte sich eine Mehrheit dem Willen der Führung nach Koalitionsgesprächen. Wenig spricht dafür, daß dies am 17. Januar auf dem Landesparteitag, der die Koalitionsvereinbarung absegnen muß, anders sein wird.

Spät, zu spät, und deshalb wenig glaubwürdig versuchten wenigstens einige Sozialdemokraten während der Verhandlungen für die Partei, ein inhaltliches Profil zurückzugewinnen. Doch selbst Ansätze einer auf das Finanzdesaster reagierenden sozialdemokratischen Haushaltspolitik wurden zerredet. Wer Ideen vorzeigte, drohte zwischen die parteiinternen Fronten zu geraten.

Es ist schon merkwürdig und spricht für die Realitätsferne der Verhandlungsdelegationen: Während in der Öffentlichkeit die Einsicht über die Unausweichlichkeit eines Sparhaushaltes wächst, präsentierten Berliner SPD und CDU ein Ergebnis, aus dem herausgelesen werden darf: Es wird weitergewurschtelt wie bisher. Für manchen ging es ohnehin nur um die Sicherung der eigenen Existenz. Selbst bei der künftigen Bildung des Senats drohen die Sozialdemokraten die letzte Karte noch zu verspielen: Wenigstens ein neues Gesicht in die Regierung zu holen. Severin Weiland