Gegen Sprachlosigkeit – rosa Gebärden statt hilfloser Gesten

■ Gehörlose Homosexuelle sind auch in der Szene isoliert / Verein plant spezifische Aids-Hilfe

„Mit uns zu reden, ist gar nicht so schwierig!“ Axel T. und Sven B. kennen die Probleme, die andere haben, wenn sie Hörbehinderten begegnen. „Man muß nur langsam und deutlich einfache Sätze sprechen, die wir vom Mund ablesen können.“ Eine lässig im Mundwinkel hängende Zigarette ist als kommunikationsstörendes Hindernis leicht zu beseitigen.

Gehörlose sind auch in schwulen und lesbischen Szenen isoliert. „Das größte Problem ist die Verständigung mit anderen. Die meisten Informationen bekommen Hörende durch das Ohr“, weiß Uwe S.. Der Besuch von Szenetreffs, Kinos oder Lesungen sei für Gehörlose wenig interessant. Und der Einsatz der Gebärden macht ihre „Behinderung“ sichtbar. Eine Isolierung erfahren sie zuerst als Behinderte und später im Coming-out als Homosexuelle.

„Für viele gehörlose Schwule und Lesben ist es natürlich ein großes Problem, mit anderen über ihre Prägung zu sprechen“, erklärt Uwe S. weiter. Als Hörender verliebte er sich in einen Gehörlosen und lernte die Gebärdensprache: „Es ist eine interessante Kommunikationsform. Gefühle sind damit besser zu vermitteln!“ Mit anderen bietet er regelmäßig Gebärdensprachkurse in Hamburgs schwulem Infoladen Hein & Fiete an. Mit Erfolg: Eine Warteliste für Teilnehmer mußte eingerichtet werden.

Träger der Kurse ist der eingetragene Verein „Rosa Gebärden“, dem nicht nur Hörbehinderte angehören. Bundesweit gibt es zehn ähnliche Gruppen, die Einsamkeitsprobleme überwinden helfen, Kontakte pflegen und ausbauen wollen sowie Hilfestellung leisten bei Problemen und im Coming-out. Ausflüge und Partys gehören ebenso zum Angebot wie die Herausgabe einer eigenen Zeitung für „Hamburg und Umgebung“. Doch „Rosa Gebärden“ möchte zudem politischer Lobbyist sein für homosexuelle Interessen bei den von Heteros dominierten Gehörlosenverbänden. Eine Zusammenarbeit würde Zuschüsse für den Verein und die Nutzung einer besseren Infrastruktur ermöglichen. Nicht zuletzt geht es darum, versteckt lebende Lesben und Schwule zu erreichen. Erschwert werde das allerdings durch die überwiegend konservative Einstellung der meisten Gehörlosenvereine, die Homosexuelle lieber ausgrenzen, statt zu integrieren.

Mitglieder des stetig wachsenden Vereins „Rosa Gebärden“ bereiten derweil ein „Hörgeschädigten-Aids-Team“ vor. Das in der Bundesrepublik einmalige Angebot soll von der Prävention bis zur Sterbehilfe reichen. Gehörlose werden nach Erfahrungen von Uwe S. durch Aufklärungs- und Aidsbroschüren bislang nicht erreicht. Der Verein, der zwei Freunde durch Aids verloren hat, will telefonische Beratungen mit Hilfe eines Schreibtelefons leisten.

Für „Rosa Gebärden“ ist Integration nicht nur Vereinszweck, sondern Wunsch und Appell an die schwule und lesbische Gemeinschaft. Uwe S. konstatiert: „Viele Leute haben einfach Angst, sich mit Gehörlosen zu beschäftigen, weil die Kommunikation ungewohnt ist. Gehörlose können gut von den Lippen ablesen, auch Pantomime hilft bei der Verständigung, und Spaß macht es auf jeden Fall!“

Rosa Gebärden, Freitags, 19.00, bei Hein & Fiete, Kleiner Pulverteich 17-21, 20099 Hamburg

Miguel-Pascal Schaar