■ Kommentar: Prima Papierform
Im Norden sind die Papiertiger los. Alle Achtung, wer hätte das gedacht: Eine bunte Hochglanzbroschüre der Hamburger Baubehörde, die uns eine „Trendwende der Verkehrspolitik“ verspricht, den Autozuwachs ausbremst und all ihr Streben und Trachten am Zielzwilling „Arbeit und Umwelt“ auszurichten verspricht (siehe Seite 22).
Da kann Heide Simonis' Kieler Verkehrsministerium, den Hamburger Genossen noch nie recht grün, natürlich nicht zurückstehen und papiertigert kräftig retour: Stahlräder könnten rattern für den Sieg, die Bahn die Straßen freiräumen, wenn, ja wenn nur Bonn und Bahn AG das auch lustig fänden.
In der schwierigen Rolle, zwischen zwei rivalisierenden Papiertigern wählen zu müssen, geben wir dem Kieler Reißwolf ungefragt den Vorzug: Hart am Ball und ehrlich bis zum Ablachen zeigen die Kieler, wie schön Bahnfahren im Norden sein könnte, um im gleichen Atemzug zu verraten, daß wir damit, wenn überhaupt, frühestens in 15 Jahren rechnen könnten. Die wahlkämpfenden Nord-Grünen wird's freuen. Das bringt wieder ein paar Bahnpendlerstimmen zusätzlich.
Auch die Hamburger Genossen wollen wir mit unserem Lob nicht verschonen: Auch wenn es in den vier Jahren Konzeptarbeit noch nicht zu viel echter Substanz reichte – ein verkehrspolitischer Papiertiger im Betontempel, da kommt echt Freude auf.
Eine kleine Mäkelei zum Schluß können wir uns dennoch nicht verkneifen: „Eines Tages“, so meinte einst ein reumütiger Verkehrsplaner aus Kassel vor Kollegen, „eines Tages müssen sich die Ziele auch mal in den Maßnahmen wiederfinden.“
Florian Marten
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