Helenenstraße ohne Verkehr

■ Auch die Prostituierten protestieren gegen die Viertelberuhigung

Viertelbürgermeister Robert Bücking genießt keinen guten Ruf in der Helenenstraße. Denn auch dort liegt der Verkehr brach, im doppelten Sinne des Wortes: Seitdem die Autos aus dem Ostertor- und Steintorviertel verbannt wurden, kommen die Freier nur noch tröpfelnd.

„Die finden hier gar nicht mehr hin“, schimpft Tina (alle Frauennamen von der Red. geändert). Tina ist eine von etwa 100 Prostituierten, die in der Helenenstraße arbeiten. Mehr als 50 unterzeichneten einen Protestbrief gegen die Viertelberuhigung. Aber auch die anderen Kolleginnen, versichert Tina, sind sämtlichst dagegen, „zu 100 Prozent!“ Die Frau, die nicht unterschreiben würde, „wäre ja blöd“, bestätigt Monique. „Die ginge ja aufs eigene Kapital los.“

Wie in den anderen Geschäften des Viertels sind auch die Umsätze auf dem Steintorkiez dramatisch runtergegangen: „75 Prozent der Kunden bleiben weg“, bilanziert Tina. Hatte sie bis Ende des Jahres noch täglich bis zu 20 Kunden, sind es jetzt bestenfalls fünf. Geblieben sind ihr nurmehr ein paar Stammkunden. „Die wußten immer schon die Wege“, erklärt sie. Die Freier jedoch, die sich im Viertel nicht auskennen, – viele kommen aus dem Umland –, verfransen sich in den Nebenstraßen.

„Die stehen dann da im Schilderwald vor einem dieser Pfähle, und blicken nicht durch“, schimpft Monique. Die Parkplatzsuche schließlich scheint die Lust der Herren so nachhaltig zu beeinflussen, daß diese das Viertel schnellstmöglich wieder verlassen. Wenn sie dann noch an die Polizei geraten, ists ganz vorbei: „Die kommen nie wieder.“

Nie wieder kommen außerdem die, „die nicht so gut zu Fuß waren“, die „Opas“, die gleich mit dem Auto bis in die Helenenstraße vorfuhren. Auch die Geschäftsmänner, die für eine Mark ihr Auto am Steintor parkten und kurz mal in der Mittagspause rüberkamen, bleiben aus. Keine Zeit für lange Wege. Zeit haben stattdessen die Prostituierten. Tina darf jetzt in ihrer Arbeitszeit zwischen halb zehn morgens und halb sechs abends viel fernsehen. Dafür aber sitzt sie nicht in ihrem Häuschen.

„Das kann so nicht weitergehen“, wettert Monique. Letzte Woche hat sie 900 Mark verdient, normal wären zwei- bis dreitausend gewesen. Dieser Summe stehen Unkosten von 7.000 Mark monatlich gegenüber. Allein für das Nutzungsrecht ihres Häuschens zahlt sie monatlich 3.000 plus 1.000 Mark Platzgebühren. In einem der fünf großen Häuser am Platze müßte sie gar 5.000 Mark Miete zahlen. „Das große Geld kann man mit Prostituion nicht machen, auch wenn das immer noch viele meinen.“

Trotzdem wollte Monique noch ein paar Jahre in der Helenenstraße weitermachen. Jetzt muß sie sich fragen, ob sie überhaupt die Zeit durchhält, bis, wie sie hofft, die Verkehrsmaßnahme wieder zurückgenommen wird. „Die müssen entweder alle Autos wieder durchlassen, oder ein Riesenparkhaus am Steintor bauen“, heißt ihre Alternative.

Auch Tina muß bereits vom Gesparten leben. Dabei hat sie kaum was zurückgelegt, gesteht sie. „Lieber schöne Reisen gemacht und so.“ Schließlich hat sie, als sie sich das Nutzungsrecht für das Häuschen in der Helenenstraße kaufte, nicht damit gerechnet, daß man eines Tages rundum die Autos verbieten würde. „Ich weiß nicht, was das soll. Schließlich ist das hier mein Job, ich mach das doch nicht aus Jux!“, empört sie sich. Obwohl sie immer grün gewählt hat, kann sie den Viertelbürgermeister nicht verstehen. „Der kann sich in unsere Lage doch gar nicht reinversetzen. Aber auf uns muß man ja keine Rücksicht nehmen. Nur Steuern, die kassieren sie von uns. Wir wollen doch auch Geld verdienen, nicht nur der Staat.“

Die Verkehrsberuhigung treibt nicht nur die Zahl der Freier gen Null, sondern auch die Preise. Wo vorher 50 Mark kassiert wurde, sind es jetzt 30. Sowas geht schnell in dieser Branche, sagen die Prostituierten. Immerhin glaubt keine, daß sich auch nur eine der 100 Frauen überreden ließe, nunmehr ohne Gummi zu arbeiten. „So blöd ist hier wohl keine.“

Allerdings gibt es kaum noch Absprachen unter den Frauen. Die Stimmung untereinander hat sich im Laufe der vergangenen zwei Wochen sehr verschlechtert. „Das ist viel aggressiver geworden“, bedauert Tina, und Monique ergänzt: „Die sind hassisch auf jede, die einen Freier abkriegt.“ Ihr feinsinniges Resumée: „Ich hoffe, daß alles wieder so wird, wie es war. Der Verkehr fehlt einem.“

dah