Ehrenrettung für den Sarottimohr

■ Heile Kolonialzeit im „Überseemuseum“: Die neue Abteilung zur Handelsgeschichte schwelgt im Glanz vergangener Bremer Größe/ Heute Eröffnung

Hymnische Streicherklänge begleiten den Eintritt in die Bremer Geschichte. Wer durch das nachgebildete Prunkportal die neue Handelskunde-Abteilung des Übersee-Museums betritt, bekommt einen Eindruck von Glanz und Gloria vergangener Zeiten. Und eine Ahnung von dem Richtungswechsel, der sich im Museum vollzogen hat: Die neue Schau setzt ganz auf Stimmungsmalerei, auf „sinnliche“ Vermittlung von Geschichte, wie es heute so schön heißt. Die Handelsstadt Bremen wird von ihren Schokoladenseiten gezeigt.

Besonders die Herrlichkeit alter Kontore und Kolonialwarenläden ist hier mit nostalgischem Vergnügen nachempfunden und -gebaut worden. Die Bremer Wirtschaft, namentlich die Handelskammer, hat sich erstmals seit den 70er Jahren wieder stark für das Museum engagiert, mit Geld und Schenkungen für die neue „Handelskunde“. Die rund 250 beteiligten Firmen dürfen sich gut repräsentiert fühlen: Keine Spur mehr von jenem kritischen, aufklärerischen Anspruch der 70er Jahre, der das Museum und die Wirtschaft entzweit hatte. Heute nachmittag wird die Paradeschau eröffnet.

„Bremen – Handelsstadt am Fluß“ ist die letzte große Abteilung, die dem Haus noch fehlte; mit ihr ist die Neuordnung und Sanierung so gut wie abgeschlossen, pünktlich zum 100. Geburtstag. Daß die Schau derart prächtig geraten ist, wäre ohne die neuerliche Unterstützung der Wirtschaft kaum denkbar. Nicht allein wegen des finanziellen Beitrags – eine halbe Million gaben die Firmen zu den 1,8 Millionen Mark Gesamtkosten. Zudem aber wurden auch die meisten der Exponate von Firmen gestiftet, von der 20er-Jahre-Kaffeemühle bis zum mächtigen, über 100 Jahre alten Otto-Motor. Das Museum selbst besaß „so gut wie nichts mehr“, sagt Kurator Hartmut Roder: In den 70ern galt vieles als imperialistisch angehaucht oder sonstwie politisch bedenklich, was zum Kolonialwesen gehörte. Der Sarotti-Mohr war nicht mehr tragbar. „Vieles hat man rausgeworfen und einfach verrotten lassen“, sagt Roder über den damaligen, fahrlässigen Umgang mit den Exponaten.

Zwei Jahre lang habe er Klinken putzen müssen, um die verschnupften Kaufleute wieder fürs Museum zu gewinnen, sagt Roder. Der Präses der Handelskammer, Josef Hattig, spricht noch heute mit gespannter Miene über das vormals „gespannte Verhältnis“ zum Museum. Und das bei einer Institution, deren Ursprung auf das Engagement von Bremer Kaufleuten zurückgeht. Auf diese Gründerzeit konnten sich Kauf- und Museumsleute nun einigen: Die neue Abteilung hat ihre schönsten Ecken dort, wo die Kolonialära in altem Pomp aufersteht – und die späteren Wirtschaftskrisen noch weit, weit weg sind.

Schon der Eingangssaal betört die Besucher mit dem wunderbarsten Gepränge. Festliches Rot an den Wänden, Historienschinkenam laufenden Meter, Beethoven aus den Lautsprechern: In diesem Ambiente wird ein rekonstruierter Ausschnitt aus der ersten großen handelskundlichen Ausstellung zu Bremen ausgebreitet. Der legendäre Otto-Motor, eine Lichtgöttin der Firma AEG, eine übermannsgroße Atlanten-Figur mit einer Darstellung der Bremer Schifffartswege sind hier kultisch aufgebaut. Unmöglich, sich dem saftigen Pathos dieser Inszenierung zu entziehen.

Noch stimmungsvoller hat man den angrenzenden Kolonialwarenladen nachgebildet. Hier feiern der Sarottimohr, der Teechinese und ihre Kompagnons fröhliche Urständ'. Wirtschafts- und Alltagsgeschichte sind hier mal wirklich geschickt miteinander verwoben: Kaffee, Tee, Wein und Gewürze – typische Bremer Handelsgüter – werden in ihren Verarbeitungsstadien vorgeführt, man darf in Kaffeebohnen wühlen und auch ein Täßchen trinken; gleichzeitig liefern die historischen Verpackungen auch ein Stück Werbegeschichte mit. Und damit viel Platz zur Identifikation für die Besucher. Omi kennt noch „Imi“, Mutti die „Kaffee Hag“-Reklame, die Kinder dürfen ihren Spaß haben an der alten „Beck's“-Werbung: Bilder aus jener Zeit, als das Bier noch Männer- statt Kennerdurst löschen durfte.

So bietet die Schau ihren Gästen Genuß ohne Reue. Der Anspruch, ohne große Worte, dafür aber mit viel Gefühl Bremer Geschichte zu vermitteln, wird eingelöst. Im holzgetäfelten Ambiente wird tatsächlich etwas vom Stolz der alten Kaufmannschaft spürbar. Der Publikumserfolg scheint garantiert. Auf der Strecke bleibt bei dieser Art der Präsentation freilich, was an kritischen Episoden aufzuzeigen wäre. Die Werftenkrise; die Abwanderung vieler Firmen in andere Länder; die Frage der Selbständigkeit: All das bleibt weitgehend ausgeklammert aus dieser Version der Handelsgeschichte.

Aber auch das zählt zur neuen Linie der Museen. Wie das Fockemuseum, zur Zeit im Umbau begriffen, schreibt sich nun auch das Überseemuseum das Thema der Bremer Eigenständigkeit als Bundesland als Leitmotiv auf die Fahnen. Allerdings nicht, um diesen Zustand zu hinterfragen. „Der Anspruch auf fortbestehender Selbständigkeit als kleinstes Bundesland“, heißt es Besucher-Faltblatt, sei ein Leitfaden der neuen Abteilung. Da paßt die schöne Schau ganz prima ins politische Konzept. Thomas Wolff

Eröffnung heute um 17 Uhr